Bin ich hier der Depp
Lokalredaktion, wo sie als Freie gearbeitet hatte. Alle freuten sich mit ihr, gratulierten zu der Stelle. Das Hochgefühl währte, bis sie eine Bombe in ihrem Briefkasten fand: den Vertrag!
Das Gehalt war auf 1500 Euro geschmolzen – zwölf Prozent weniger als Tarif! Dafür gab es einen saftigen Aufschlag bei den Arbeitszeiten: Nicht nur 42 Arbeitsstunden pro Woche sollten »mit dem Gehalt bereits abgegolten« sein, sondern 25 Überstunden pro Monat dazu. Diese Zeit war sicher nicht nötig, um den Beruf zu lernen – eher schon, um jene Löcher in der Personaldecke zu stopfen, die Kürzungen in den letzten Jahren gerissen hatten. Überall im Land gibt es schon Redaktionen und Agenturen, in denen mehr billige Volontäre als normal bezahlte Ausgelernte ranklotzen.
Die junge Journalistin rechnete nach: Dieser Vertrag hätte rund 200 Arbeitsstunden pro Monat bedeutet – und einen Arbeitslohn von acht Euro brutto pro Stunde. Womit schon wieder ein Traum vom Volontariat geplatzt war. Allmählich verstand sie Robert Lembkes Definition von Journalisten: »Menschen, die in einem anderen Beruf mit weniger Arbeit mehr Geld verdient hätten.«
Rüggeberg war verzweifelt. Erst recht, als ein weiteres Angebot kam, diesmal von einer Agentur in Düsseldorf: Mit 1000 Euro sollte sie für ein Volontariat abgespeist werden. Wie – wenn nicht unter einer Rhein-Brücke – hätte sie von diesem Gehalt in einer der teuersten Städte Deutschlands leben sollen?
In ihrer Abrechnung mit der »Ausbeutungsmaschine Journalismus« mutmaßt sie, warum sich so viele Jungjournalisten zu Deppen machen lassen: »Aus Angst, am Ende gar nichts zu finden, nehmen sie die dreistesten Angebote an und schweigen sich über die Arbeitsbedingungen aus.« Ihr Fazit: »Das ist Ausbeutung.«
Und so schrie eine 22-jährige Noch-nicht-Volontärin ins Land hinaus, was sonst nur hinter dem Rücken der Verleger geflüstert wird: »Niemand, der einen universitären Abschluss hat, sollte es nötig haben, für 1000 Euro brutto arbeiten zu müssen, selbst als Berufseinsteiger.« Die Ausgebeuteten sollten aufbegehren: »Denn wenn wir immer nur ›Ja‹ sagen und den Mund halten, wird sich nichts ändern.«
Dass ihre Geschichte doch noch ein Happy End nahm, liegt an »joachim1965«, im realen Leben Joachim Braun, der unter ihren Blogeintrag einen Kommentar schrieb: »Liebe ›marue23‹, ich bin Chefredakteur des ›Nordbayerischen Kurier‹ in Bayreuth. Wir sind eine kleine, aber feine Tageszeitung und haben zum 1. Oktober eine unbesetzte Volontärsstelle.« Mit Tarifgehalt. Und ohne Überstunden-Klausel.
Am 21. August twitterte Rüggeberg: »Ich bin Volontärin. Hurra!«
Hamsterrad-Regel: Für »Unverschämtheit« gibt es diverse Synonyme, eines davon lautet: »Ausbildungsvertrag«.
Azubi – der Depp vom Dienst
Wer befürchtet, Azubis lernen in Deutschland nichts, übersieht eine wichtige Lektion: Sie lernen Ausbeutung für Fortgeschrittene, wenn auch nur in der passiven Rolle. Vorbei die Zeiten, als es noch Lehrherren gab, die erstens Herren waren und zweitens etwas über ihren Beruf lehrten. Vorbei die Zeiten, als eine Ausbildung noch so kostbar war, dass der Lehrling ein »Lehrgeld« mitbrachte.
Einige Firmen verkünden stolz: »Wir behandeln unsere Azubis als vollwertige Teammitglieder!« Aber »vollwertig« heißt nur, dass Azubis mit voller Kraft arbeiten müssen und volle Verantwortung für Fehler tragen. Ein volles Gehalt bekommen sie nicht! In der Regel müssen sich Azubis mit 600 bis 800 Euro bescheiden. [105] Bei 160 Stunden im Monat kommen sie auf einen Stundenlohn von etwas über vier Euro, also meilenweit unter jedem Mindestlohn. Nur Praktikanten sind noch billiger (siehe nächstes Kapitel).
Es gibt zwei Sorten von ausgenutzten Azubis: denjenigen, der vom ersten Tag an als vollwertige Arbeitskraft eingespannt wird, zum Beispiel im Einzelhandel, im Hotelgewerbe oder in Redaktionen (nicht umsonst waren für Maximiliane Rüggeberg 25 Überstunden pro Monat vorgesehen!). Und denjenigen, der den ganzen Tag Dinge tut, die wenig mit seiner Ausbildung zu tun haben.
Dabei darf die Tätigkeit des typischen Azubis durchaus als abwechslungsreich gelten: Post frankieren, Kopien machen, Blumen kaufen, Bote spielen, Autos waschen, Telefonate durchstellen, Karteikarten sortieren, Akten schreddern, Tische decken, Kaffee kochen und manchmal sogar die Toilette putzen – all das gehört dazu.
Unangenehme Aufgaben werden nach unten durchgereicht. Was sonst
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