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Bin ich hier der Depp

Bin ich hier der Depp

Titel: Bin ich hier der Depp Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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ihren Horizont zu erweitern. Einmal war der Preis an soziales Engagement geknüpft und ging an einen Azubi, der erblindeten Senioren Bücher vorlas. Ein anderes Mal war er für kulturelles Engagement ausgesetzt, und es gewann eine junge Frau, die im Betrieb eine Theatergruppe organisiert und an der örtlichen Bühne ein Stück aufgeführt hatte.
    Als Personalleiterin war ich stolz auf diesen Preis: Er zeigte, dass unser Horizont über das Firmengelände hinausreichte. Doch vor zwei Jahren trug mir die neue Geschäftsleitung auf: »Dieses Jahr schreiben wir den Preis für ›digitale Leistungen‹ aus. Fordern Sie die Azubis auf, Konzepte zu entwickeln, wie wir die junge Zielgruppe auf unserer Homepage noch gezielter ansprechen können.«
    »Moment«, sagte ich, »der Preis bezog sich doch immer auf Leistungen außerhalb der Firma, nicht auf Dienstleistungen für sie!«
    »Das ändert sich jetzt«, sagte mein Vorgesetzter. »Und jeder muss was einreichen!«
    Der Aufschrei unter den Azubis war groß: Wie sollten sie diese Mehrarbeit schultern, obwohl sie vor lauter Tagesarbeit kaum zu ihrer eigentlichen Ausbildung kamen? Die Vorschläge für die Homepage reichten sie wie Klassenarbeiten ein: lustlos und unter Zwang. Nur ein junger Internet-Freak hatte Spaß an der Sache gehabt. Sein Konzept war brillant wie von einer Werbeagentur. Er bekam die 1000 Euro.
    Die Firma machte ein gutes Geschäft: Bei einer Agentur hätte das Konzept ein Vielfaches gekostet. Seither wird der Preis jedes Jahr mit dienstlichen Leistungen verknüpft. Früher war er eine soziale Tat – heute ist er eine Sparmaßnahme.
    Brigitte Heine, Personalleiterin
    Der Praktikanten-Horror
    Angenommen, Sie wollen einen jungen Maurermeister beauftragen, für Sie ein Haus zu bauen. Offiziell würde das 150 000 Euro kosten. Doch nun sagen Sie zu ihm: »Ich bin mir nicht sicher, ob Sie schon qualifiziert genug sind, ein Haus zu bauen.«
    »Aber ich bin doch Meister!«, protestiert der Maurer.
    »Das will nichts heißen«, sagen Sie. »Es geht hier um die Praxis!«
    Nach einem längeren Disput fragt der Maurer: »Wie kann ich Sie überzeugen?«
    »Fangen Sie einfach mal mit dem Mauern an. Zum Selbstkosten-Preis. Wenn mir Ihre Arbeit gefällt, kommen wir ins Geschäft.«
    Die Auftragslage ist schlecht, deshalb lässt sich der Maurer darauf ein. Er legt das Fundament, zieht die Grundmauern, legt Stein auf Stein. Und immer wieder fragt er Sie: »Können wir jetzt den Vertrag abschließen?«
    Freundlich antworten Sie: »Das sieht schon sehr gut aus! Wenn Sie so weitermachen, ist Ihnen der Vertrag sicher.«
    Diese Worte spornen ihn an. Er mauert und mauert, hofft und hofft. So lange, bis Ihr Haus den ersten Stock erreicht hat. Und Sie ihm immer noch den Vertrag verweigern. Jetzt fühlt er sich über den Tisch gezogen. Und springt ab.
    Immerhin, der erste Stock steht! Gekostet hat es Sie fast nichts. Nun wenden Sie denselben Trick erneut an, bei einem anderen jungen Maurermeister. So geht es noch drei-, viermal. Am Ende steht Ihr Haus. Fast zum Nulltarif.
    Das gibt’s nicht, sagen Sie? Und ob! Genau so nutzen viele Firmen ihre Praktikanten aus. Auch wenn ein Bewerber blitzgescheit ist, vier Sprachen spricht und sein Studium mit Noten abgeschlossen hat, von denen sein künftiger Chef nur hätte träumen können: Oft bekommt er keinen offiziellen Auftrag zum Hausbau, keinen Festvertrag – sondern er soll sich erst mal als Praktikant beweisen.
    Aber was veranlasst sogar Akademiker, sich auf einen solchen Rückschritt einzulassen? Die Not! In einigen Berufszweigen konkurrieren viele Abgänger um wenige Arbeitsplätze, zum Beispiel in den Geisteswissenschaften. Die Türen der Firmen wirken wie verrammelt. Wer einen Fuß dazwischen bekommt, schätzt sich glücklich. Besser Praktikant als Taxifahrer!
    Die Not des Praktikanten ist das Glück der Firma: Weil er weiß, dass er seinen Arbeitgeber schnell überzeugen muss – denn andere Abgänger rütteln schon an der Tür! –, stürzt er sich in seine Aufgabe wie ein Lemming ins Meer. Seinen Feierabend macht er »nach Auftragslage«, will heißen: nie pünktlich! Wenn ihn Freunde nach 18 Uhr erreichen wollen, rufen sie vorsichtshalber im Büro an. Und auch am Wochenende kann es passieren, dass er noch mal »in der Firma vorbeischaut« – und dort hängenbleibt bis zum Abend.
    Wie der Maurer dachte, in einen regulären Auftrag zu investieren, so denkt er: »Ich investiere in meine Zukunft, in eine Festanstellung!« Doch am

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