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Bin ich hier der Depp

Bin ich hier der Depp

Titel: Bin ich hier der Depp Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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wurden daran gekoppelt, die Personalkosten zu senken und zugleich den Generationenwechsel anzukurbeln. Im Klartext hieß das: »Werft Alte raus, sie sind teuer! Holt Junge rein, sie sind billig!«
    Vorsichtshalber hatte man den Abteilungsleitern einen Etat für Abfindungen und Aufhebungsverträge eingeräumt. Und so mussten die Ureinwohner bei ihren direkten Vorgesetzten antanzen. Ein Klient (59) von mir, tätig im Vertriebs-Innendienst, erinnert sich, dass sein Chef ihn unvermittelt fragte: »Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn Sie einmal in Rente sind?« Er erzählte von seinen Enkeln. Der Chef hakte gleich ein: »Und was würden Sie sagen, wenn Sie Ihre Enkel schon ab dem 1. Januar den ganzen Tag sehen könnten?« Er machte eine Pause und schob nach: »Ich hätte da ein interessantes Aufhebungs-Angebot für Sie!«
    Der Vertriebs-Innendienstler war wie erstarrt – mit einem solchen Verlauf des Gespräches, mit einer unerwünschten »Geh-Hilfe«, hatte er nicht gerechnet, zumal er noch mit beiden Beinen (und oft auch bis zum Hals) in Arbeit stand. Zudem war die Abfindung mickrig, sie lag unter dem gesetzlichen Richtwert von einem halben Monatsgehalt pro Arbeitsjahr. Mein Klient winkte ab.
    Ab diesem Tag wurde er nach Strich und Faden schikaniert: »Ich saß im Gespräch mit einem langjährigen Kunden. Da kam mein Chef mit einem jungen Kollegen dazu, zeigte auf ihn und sagte: ›Das ist Herr Jäger, er wird Sie ab kommendem Monat betreuen. Es ist mir wichtig, dass da mal neuer Wind reinkommt.‹ In Gegenwart des Kunden! Ich war so überrumpelt, dass ich mich nicht gewehrt habe.«
    Bei den Besprechungen pfiff ihm Gegenwind um die Ohren: »Wenn ich Vorschläge machte, hieß es: ›Das ist überholt, da gehen wir heute mit anderen Mitteln ran!‹ Wenn ich Bedenken vorbrachte, hieß es: ›Vor einigen Jahren wurde das so gesehen – aber mittlerweile …‹! Und wenn ich Vorschläge zur besseren Kundenbetreuung machte, bekam ich zu hören: ›Die Generation Facebook tickt da völlig anders!‹«
    Er galt als unbequem, weil er reif genug war, eine eigene Meinung zu vertreten, auch gegen Widerstände. »Es gehört zu den vielen Merkwürdigkeiten des Lebens, dass der Mensch immer bissiger wird, je weniger Zähne er hat«, schrieb der Autor Stefan Heym.
    Die Kollegen des Innendienstlers reagierten mit spöttischer Arroganz. Plötzlich wurde er als seniler Opi behandelt, der den Zug der Zeit verpasst hatte und jetzt hilflos über den Bahnsteig stolperte. Mit seinen Sachargumenten setzte sich niemand mehr auseinander. Ein Arbeitslätzchen bekam er umgehängt und leicht zu kauende Arbeiten serviert: »Jahrelang war ich der Mann für die schwierigen Aufgaben gewesen – aber plötzlich bekam ich Praktikantenarbeiten auf den Tisch. Und bei wichtigen Meetings fiel ich aus dem Verteiler. Mir kam das vor wie ein Tod auf Raten.«
    Auffällig war: Gerade jüngere Mitarbeiter, die nur befristete Verträge hatten, gingen ihn in Meetings an und nahmen seine Arbeitsergebnisse unter Beschuss. »Einem von ihnen – er hätte mein Sohn sein können – musste ich meine Arbeiten wie einem Lehrer vorlegen. Und er kritzelte willkürlich mit dem Rotstift darin herum. Es war eine große Demütigung.«
    Später sickerte durch: Den Befristeten war in Aussicht gestellt worden, auf die Planstellen der Älteren nachzurücken. Und wer diesen »Erbfall« beschleunigen wollte, konnte ja durch schleichendes Mobbing-Gift nachhelfen. Die Vorgesetzten schauten tatenlos zu.
    Am Ende musste mein Klient erneut bei seinem Abteilungsleiter antanzen. Der winkte wieder mit dem Aufhebungsvertrag, diesmal aber energischer: »Es gibt Probleme zwischen Ihnen und den jüngeren Kollegen, unüberbrückbare Differenzen. Der Betriebsfrieden in der Abteilung ist gestört. Entweder gehen Sie jetzt auf unser Angebot ein – oder wir müssen das auf einem anderen Weg regeln …«
    Hatte er es nötig, sich nach all den Jahren so behandeln zu lassen? Wollte er riskieren, dass man ihn in eine seelische Krankheit mobbte? Und war es denn seine Aufgabe, dem Unternehmen deutlich zu machen, dass es Jahrzehnte investiert hatte in sein Wissen und seine Erfahrung, um diesen Schatz nun achtlos vor die Tür zu setzen?
    Diese Firma war nicht mehr sein Land, er kein Ureinwohner mehr. Raus wollte er, nur noch raus! So nahm er die Abfindung und seinen Hut. Die meisten älteren Kollegen gingen ebenfalls.
    Beim Abservieren des Klinikdirektors hatte der Aufsichtsratsvorsitzende vor der Presse

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