Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bin ich hier der Depp

Bin ich hier der Depp

Titel: Bin ich hier der Depp Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
Vom Netzwerk:
eine Steilvorlage für die Diskriminierungsklage geliefert. Aber mit welchen Beweisen hätten die altgedienten Mitarbeiter dieses Konzerns aufwarten sollen? Verbale Giftpfeile hinterlassen keine nachweisbaren Spuren.
    Und die Manager des Konzerns? Sicher waren sie zufrieden, weil so viele Ureinwohner gingen und Junge mit kleinen Gehältern nachrückten. Ihre Milchmädchen-Rechnung schien aufzugehen. Wie in so vielen Konzernen.
    Doch zwei Jahre später machte das Unternehmen bundesweit Schlagzeilen: Ein großes Projekt hatte sich durch eine Fehlkalkulation als Millionengrab erwiesen. Die Presse rätselte, wie einem renommierten Unternehmen so laienhafte Fehler hatten unterlaufen können, »trotz jahrzehntelanger Erfahrung«?
    Um die Antwort zu wissen, muss man kein Stammesältester sein: Weil die »jahrzehntelange Erfahrung« vorher entlassen worden war!
    Hamsterrad-Regel: Höflichkeit gegenüber älteren Mitarbeitern ist für die Firmen selbstverständlich: Sie helfen ihnen bereitwillig vor die Tür!
    Deppen-Erlebnisse
    Wie ich einem lächerlichen Hörtest unterzogen wurde
    Mag sein, dass ich auf meinem Passfoto ein paar Tage jünger aussah als in Wirklichkeit (das Foto war auch schon ein paar Tage alt!). Mein Geburtsdatum hatte ich in der Bewerbung bei einem Callcenter weggelassen. Und tatsächlich: Ich bekam eine Einladung zum Vorstellungsgespräch.
    Die beiden Leiter des Centers, um die 30, konnten ihr Entsetzen über den Anblick eines 60-Jährigen kaum verbergen. »Sie sind Herr Weber?«, fragte der Chef ungläubig und glotzte mich an wie einen Opi, der sich auf eine Schülerfete verirrt hatte. Und sein Stellvertreter meinte: »Wir können ja einfach mal miteinander sprechen.« Als hielte er dieses Vorstellungsgespräch für reine Zeitverschwendung.
    Meinen Wohnsitz verorteten die beiden offenbar hinterm Mond, denn als einer über »Facebook« redete, hielt er es für nötig, mir das soziale Netzwerk zu erklären. Wahrscheinlich dachten sie, dass ich ein Handy für einen Hundeknochen und das Internet für eine Erfindung der Hochseefischer hielt.
    Wenn die beiden miteinander sprachen, schlugen sie eine normale Lautstärke an. Sobald sie das Wort an mich richteten, sprachen sie deutlich lauter, wohl um mir deutlich zu machen, für wie taub und begriffsstutzig sie mich hielten. Ich antwortete in normaler Lautstärke.
    In der zweiten Hälfte des Gespräches passierte etwas Verrücktes: Plötzlich senkte einer der Callcenter-Leiter seine Lautstärke zu einem Flüstern, als würde unser Gespräch von einer feindlichen Macht belauscht. Seine in den Raum gehauchte Frage war einfach zu beantworten:
    »Können Sie mich noch hören?«
    »Ja!«, sagte ich laut. »Was soll der Quatsch?«
    Er sah seinen Stellvertreter an und meinte: »Seine Ohren sind in Ordnung, er wird die Kunden auch bei schlechter Leitung verstehen.« Ich kam mir vor wie eine Ratte in einem Versuchslabor. Fehlte nur noch, dass sie mir kleine Elektroschocks verpassten, um zu testen, ob meine Reflexe noch funktionierten.
    Ja, sie funktionierten noch! Denn nach dem Hörtest stand ich auf und sagte: »Ich will die Position nicht.« Zwar hatte ich mit Ende 50 meinen Job verloren. Aber meine Würde hatte ich behalten. Hier wäre sie vor die Hunde gegangen!
    Lars Teiger, Callcenter-Agent
    Wie meine Firma sich altenfreundlich gibt, aber das Gegenteil ist
    Der Zeitungsartikel schwärmte davon, dass unsere Firma sich »den Senioren verpflichtet« fühle. Mehrfach war die Rede vom »harmonischen Miteinander zwischen Jung und Alt«. Auf dem Foto war unser oberster Chef zu sehen, eingerahmt von silberhaarigen Veteranen.
    Anlass für den Artikel war der »Seniorenabend«. Alle zwei Jahre lud die Firma ihre verrenteten Ex-Mitarbeiter zum Essen ein. Dieser Abend glich einer Familienfeier. Die Veteranen schwärmten in ihren Reden von einem Unternehmen, das es schon längst nicht mehr gab. Und die Presse schrieb eifrig alles Positive mit.
    Nichts gegen dieses Treffen! Aber als Betriebsrätin dachte ich mir: Wenn die Firma die Älteren gut behandeln will, dann sollte sie beim aktuellen Personal anfangen! Immer wieder musste der Betriebsrat eingreifen, weil Alte gemobbt und zum Unterschreiben unsittlicher Auflösungsverträge gedrängt wurden. Allein im letzten halben Jahr hatte ich es mit einem halben Dutzend solcher Fälle zu tun gehabt.
    Eine weitere Gemeinheit war das »Rotations-Prinzip«. Diese Regelung schrieb neuerdings vor, dass Abteilungen im halbjährlichen Wechsel

Weitere Kostenlose Bücher