Bin ich hier der Depp
von ihm gescheucht worden war.
Immer ging es in unserer Firma darum, das Letzte rauszupressen, Bestmarken aufzustellen, die Konkurrenz zu schlagen. Rennen, rennen, rennen. Genau diese Philosophie hätte man in Frage stellen müssen, statt sie unter dem Deckmäntelchen der Burn-out-Prävention auch noch in die Freizeit der Mitarbeiter zu transportieren.
Zum Glück haben die meisten Läufer dieselbe Richtung wie ich eingeschlagen: Sie liefen dem Marathon-Manager davon!
Jürgen Dengele, Multimediafachmann
Vom Absturz eines Projektmanagers
Der Prokurist eines Beleuchtungsherstellers bat mich um Unterstützung: Sein Projektmanager Dietmar Behr (41), lange »bester Mann«, sei »total von der Rolle«. Über Jahre hatte Behr mehrere Teams koordiniert und zu Erfolgen geführt. Doch in letzter Zeit war der Projektmanager kaum wiederzuerkennen: Er, sonst immer zuverlässig, verschwitzte Termine mit Kunden. Er, sonst immer gesellig, mied seine Kollegen und saß allein in der Kantine. Er, der sonst zügig entschied, schob Entscheidungen vor sich her.
»Ich habe ihn schon mehrfach ins Gebet genommen«, sagte der Prokurist. Doch beim ersten Mal habe der Mitarbeiter »keine Miene verzogen«. Beim zweiten Anlauf sei er gereizt aus dem Raum gestürmt. Behr, jahrelang keinen Tag krank, blieb jetzt oft mit Kopfschmerzen zu Hause, ließ seine Verspannungen massieren, und in den kleinen Pillendöschen, die auf seinem Schreibtisch standen, vermutete der Prokurist Aufputschmittel.
Auf meine Frage, wie er die Veränderung des Mitarbeiters erkläre, sagte der Prokurist: »Herr Behr ist Perfektionist. Er erträgt es nicht, wenn die Dinge von seinem persönlichen Plan abweichen. Ich glaube, er ist anfällig für einen Burn-out.«
»Und was trägt Ihre Firma dazu bei?«
»Daran kann es nicht liegen! Die meisten Mitarbeiter kommen mit den Arbeitsumständen bestens klar.«
»›Die meisten‹ heißt: einige nicht?«
»Nun ja, wir hatten schon ein paar Ausfälle. Aber das waren oft Mitarbeiter, die es aus freien Stücken übertrieben haben.«
»Vor allem Leistungsträger, nehme ich an?«
Er grübelte kurz. »Ja, kann man so sagen.«
Ich dachte mir meinen Teil, auch als er mich aufforderte: »Zeigen Sie Herrn Behr in einem persönlichen Coaching, wie man fünfe gerade sein lässt – damit er wieder ordentlich seinen Job macht.«
Dieser Auftrag kam nicht in Frage, denn ich konnte den Ingenieur nicht gegen seinen Willen coachen. Außerdem war mir klar, dass der Prokurist die Verantwortung auslagern wollte: An seiner Firma durfte es nicht liegen, nur am Perfektionsanspruch der Mitarbeiter!
Ich schlug vor, Einzelgespräche mit mehreren Mitarbeitern zu führen, auch mit Dietmar Behr. Vielleicht bekäme der Prokurist so Anhaltspunkte, wo es hakte. Und vielleicht würde Behr dann von sich aus ein Coaching wünschen. Murrend ließ der Prokurist sich darauf ein.
Mein erstes Gespräch mit Dietmar Behr verlief schleppend. Sein Mund war wie zugeklebt, wahrscheinlich hielt er mich für einen Spitzel der Geschäftsführung. Doch am nächsten Tag kam er auf mich zu, und sein Gesicht deutete ein Grinsen an: »Ich habe über Sie im Internet gelesen. Offenbar sehen Sie die Firmen ja ziemlich kritisch.« Wir setzten uns erneut zusammen. Nun redete er Klartext: »Ich werde mit der Arbeit einfach nicht mehr fertig. Im Grunde brauche ich gar nicht erst anzufangen, ich habe schon verloren.«
»Was meinen Sie mit ›verloren‹?«
»Wir können die Termine nicht mehr halten! Ich habe zehn Jahre lang keinen Termin versäumt. Alle meine Projekte waren pünktlich. Aber seit wir Aufträge aus China haben, geht fast jeder Termin daneben. Das ärgert mich maßlos.«
»Was ist anders als früher?«
»Durch die Aufträge aus China haben wir wesentlich mehr zu tun, bestimmt 50 Prozent mehr Arbeit. Aber wir haben nur 10 Prozent mehr Mitarbeiter bekommen. Es fehlt an allen Ecken und Enden Personal.«
»Was bedeutet das für Sie im Alltag?«
»Ich habe zwei Möglichkeiten: Entweder mache ich meine Arbeit schlampig, weil so wenig Zeit ist – das will ich aber nicht! Oder ich mache sie gründlich, obwohl so wenig Zeit ist – dann verfehle ich meine Termine.«
»Wie reagiert Ihr Vorgesetzter, wenn Sie schlampig arbeiten?«
»Erst winkt er alles durch. Aber sobald der Kunde sich beschwert, heißt es: ›Die Aufträge aus China bekommen wir nur wegen unserer Qualität. Wir können uns keinen Pfusch erlauben!‹«
»Und was passiert, wenn Sie gründlich sind
Weitere Kostenlose Bücher