Bin ich hier der Depp
recht, nicht sich selbst. Weil sie keine Grenzen setzte, war sie der grenzenlosen Arbeit ausgeliefert. Weil sie keine Egoistin sein wollte, wurde sie Opfer eines Egoisten in Chefgestalt.
Mit jeder Reaktion, jeder Handlung, jedem Ablauf, den wir wiederholen, fügen sich die Nervenzellen im Gehirn zu Formationen. Je öfter wir ein Verhalten wiederholen, desto schneller finden sich diese Formationen wieder, wie vom Magneten der Gewohnheit angezogen. Das ist ein Energiesparprogramm, so benötigen wir die maximale Konzentration nur zum Erlernen, nicht aber zum Erhalten eines Verhaltensmusters.
Zum Beispiel scheint es uns in der Fahrschule noch als Kunststück, die Kupplung kommen zu lassen, ohne dass unser Auto einen Sprung macht oder absäuft. Doch nach einigen Monaten kuppeln wir, ohne darüber nachzudenken. Das ist von Vorteil, weil wir uns besser auf den Verkehr konzentrieren können.
Aber was, wenn wir plötzlich in einem Wagen mit Automatik sitzen? Der Fuß tut, was er immer tat: Er will kuppeln. Aber das klappt nicht. Für einen Moment sind wir irritiert – und können im Straßengraben landen. Das eingeschliffene Verhalten, das in der Ursprungssituation hilfreich war, ist in der neuen Situation riskant.
Bei Claudia Nieber war es in ihrer Kindheit nützlich gewesen, dass sie auf ihre Eltern gehört und um ihre Zuneigung geworben hatte. Aber dass sie dasselbe Muster als Erwachsene lebte, dass sie es ihrem Chef recht machen wollte, ohne Rücksicht auf die eigenen Bedürfnisse, brachte sie in Gefahr. Sie schleuderte, weil sie noch die Kupplung durchtrat, obwohl sie inzwischen Automatik fuhr.
Ist es möglich, solche Glaubenssätze zu verändern? Ja! Allerdings sind diese Sätze wie hartnäckige Graffiti: Löschen kann man sie nicht – aber übersprühen! Dazu braucht es ein Ziel, eine positive Vision. Ich fragte Claudia Nieber:
»Wenn Sie Ihre Ausgeglichenheit auf einer Skala von eins (für gering) bis zehn (für hoch) angeben müssten – wo stehen Sie dann im Moment?«
»Bei einer Zwei. Maximal bei einer Drei.«
»Wann kamen Sie zuletzt auf einen deutlich höheren Wert?«
»Das war genau vor drei Monaten. Damals war mein Chef im Urlaub. Da habe ich meine Gleitzeit genutzt. An einem Tag war ich bis 18.30 Uhr im Büro, am nächsten bin ich dann aber um 15.00 Uhr gegangen.«
Sie beschrieb ausführlich, wie sie in dieser Woche ihre Zeit frei eingeteilt und einen gesunden Ausgleich geschaffen hatte. Am Ende fragte ich:
»Und welchen Wert auf der Skala würden Sie für diese Woche angeben?«
»Eine Acht.«
»Wäre das ein Wert, mit dem Sie dauerhaft zufrieden sein könnten?«
»Auf jeden Fall.«
Meine Frage nach der positiven Ausnahme, nach dem höheren Wert auf der Skala, hatte uns auf eine wichtige Fährte gebracht: Offenbar reicht schon die Abwesenheit des Chefs aus, um ihr Leben und ihre Arbeitszeiten besser ins Lot zu bringen. Ich fragte weiter:
»Mal angenommen, es wäre Ihre Aufgabe, auch in der kommenden Woche eine Acht auf der Skala zu erreichen. Was müssten Sie dazu tun?«
Sie lachte. »Meinen Chef in Urlaub schicken!«
»Gute Idee! Ich bin mir sicher, dass Sie das tatsächlich können – mit dem richtigen Glaubenssatz.«
Sie sah mich skeptisch an. »Wie meinen Sie das?«
»Mal angenommen, Sie wollten sich in Anwesenheit Ihres Chefs so frei verhalten, als wäre er abwesend – welchen Glaubenssatz bräuchten Sie dazu?«
Sie kratzte sich am Kinn, ehe sie den Kopf schüttelte. »Keine Ahnung, wirklich!«
»Dann frage ich umgekehrt: Welche Glaubenssätze müssten Sie hochhalten, um noch länger und härter zu arbeiten, wenn Ihr Chef im Haus ist?«
»Dann müsste ich denken: ›Ich muss es ihm recht machen!‹, ›Er soll sehen, dass ich immer engagiert bin!‹, ›Ich darf erst dann nach Hause gehen, wenn er auch geht!‹«
Die hinderlichen Glaubenssätze waren nun formuliert. Ich schrieb sie auf, schob ihr den Zettel rüber und sagte:
»Mal angenommen, Sie sollten diese Glaubenssätze neu formulieren – und zwar so, dass Sie sich in Anwesenheit Ihres Chefs wie während seines Urlaubs verhalten können. Welche Sätze kämen dabei heraus?«
Ihr Stift setzte sich in Bewegung. Nach einer Minute wanderte der Zettel wieder zu mir, dort stand:
»Ich muss es mir selbst recht machen, nicht meinem Chef!«
»Mein Engagement hängt vom Arbeitsergebnis ab, nicht von der Arbeitszeit.«
»Ich darf nach Hause gehen, wenn meine Arbeitszeit vorbei ist.«
Ich bat sie, die Sätze laut auszusprechen.
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