Bin Ich Schon Erleuchtet
was ich gerne ausprobieren würde? Ich würde gerne diesen Kokos-Vanille-Shake probieren, von dem ihr Mädels so schwärmt.«
Schweigen senkte sich auf die Runde. Und dann brach die Hölle los. Milkshakes für alle! Im Zuckerrausch über unsere Lehrer lästern! Verrat! Meuterei!
Jessica und ich gingen weg, sobald wir unsere Milkshakes geleert hatten, und setzten uns in eine ruhige kleine Bar, in der wir reden konnten. Und Bier trinken. Ich glaube, wir brauchten ein paar ungestörte Minuten miteinander. Aus irgendeinem Grund fühlen sich Jessica und ich von allem, was Indra und Lou angeht, besonders betroffen. Ihre Liebesgeschichte ist ein bisschen unser Eigentum, und es irritiert uns, wenn unsere Mit-Yogis Indra als Verführerin und Ehebrecherin bezeichnen. Das zerstört die Legende, mit der wir unsere Lehrer umgeben haben, den Mythos, der uns inspiriert und Hoffnung auf unsere eigenen Chancen in der Liebe macht.
Darüber redeten wir beim Bier, und am Ende des Abends standen leere Cocktailgläser mit Schirmchen vor uns, und wir waren uns einig, dass sowieso alles egal war; relevant war nur noch der kleine Gott am Boden des Martiniglases, der uns aufforderte, noch einen Drink zu bestellen. Und wenn ein Gott spricht, muss man auf ihn hören.
Heute frage ich mich, ob Lou und Indra nicht vielleicht ganz ähnliche Geschichten erlebt haben. Vielleicht konnte Lou bei seiner Exfrau nicht wirklich er selbst sein oder sich weiterentwickeln. Vielleicht brauchte Indra Einsamkeit, um sich zu finden, Jahre des Alleinseins zwischen ihrer ersten Ehe und der Begegnung mit Lou – und Lou brauchte Indra, um sich selbst zu finden.Ich weiß es nicht. Oder vielleicht sind sie auch nur zwei stinknormale Ehebrecher.
Das wird heute ein beschissener Unterricht. Ich hab das im Urin.
24. April
Jessica und ich hingen gestern Abend noch auf der Veranda rum und redeten mal wieder über Indra und Lou, als ein Mann in einem teuren dunklen Anzug hinter dem Haus auftauchte. Er schlich um den Tempel herum, schaute sich den Pool an und strolchte ums Haus, bis Jessica und ich ihn fragten, was er hier wolle. Wie sich herausstellte, ist er Sus Onkel aus Jakarta. Ihm gehört das Gelände.
Er war rundlich und schwitzte in seinem Anzug. Die rechteckigen Brillengläser waren verschmiert.
»Sie machen hier Yoga, richtig?«, fragte er lächelnd, einen Fuß auf die unterste Verandastufe gestützt, die Hand in der Hosentasche. Er sprach mit einem australischen Akzent. »Ihr Leute aus dem Westen liebt Yoga.«
Jessica nickte, und ich sagte: »Manchmal.«
Jessica runzelte die Stirn. »Suzanne. Hör auf damit! Du wandelst auf dem Pfad!«
»Ich glaube, ich hocke gerade auf dem Pfad«, antwortete ich. »Ich brauche mal Abstand vom Yoga.«
Der Onkel lachte. »Als ich Abstand von dem Hokuspokus hier auf Bali brauchte, bin ich nach Jakarta gezogen.« Er deutete auf Jessicas blaue Matte, die ausgebreitet auf den Verandafliesen lag. »Ihr treibt wenigstens Sport, das ist gut für den Körper. Es ist sinnvoll. Aber bei uns Balinesen besteht Yoga nur aus Glöckchen und Weihrauch und Opfergaben an die Geister. Wir benehmen uns wie Kinder, die sich ein Spiel ausdenken. Andererseits ist das ein Vorteil für unsere Wirtschaft – solange ihr die Balinesen wegen ihres Aberglaubens liebt, werden wir alle genug zu essen haben! Aber ein paar von uns sind inzwischen fortschrittlicher.«
Jessicas Blick besagte, dass ich an dieser Unterhaltung schuld sei. Aber ich wollte wissen, was er damit meinte. Ich mag Glöckchen und Weihrauch. Ich mag die Schauspielerei. Ich könnte den ganzen Tag lang schauspielern, nur komm mir nicht mit Gott oder Geld. Davon habe ich die Nase voll. Ich fragte ihn also, was er meinte, und Sus Onkel ließ eine Rede über die Zyklen der Menschheitsgeschichte vom Stapel. Sobald Jessica das Wort »Zyklen« hörte, spitzte sie die Ohren. Aber ich glaube kaum, dass ihr gefiel, was sie hörte.
Der Onkel sagte, die menschliche Begierde verlaufe zyklisch. Dazu malte er mit dem Finger eine Uhr in die Luft und deutete auf die Spitze, die Stelle mit der zwölf. »Hier steht eine Zivilisation am Anfang.« Sein Finger fuhr rechts am Rand der Uhr entlang. »Mit der Zeit akkumuliert man Annehmlichkeiten. Man kämpft um Besitz und Macht, Geld und Land. Eure Leute haben das schon durchexerziert.« Sein Finger landete auf der Sechs. »Jetzt seid ihr hier, wieder auf dem Weg nach oben, weg von der materiellen Welt.« Er beschrieb einen Halbkreis zurück zur
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