Bin Ich Schon Erleuchtet
würde oder dass ich in Wahrheit doch von einem Trommelkreis träumte. (Getrommelt hab ich noch nicht, keine Sorge.) Je bereitwilliger ich solche unangenehmen, niveaulosen Tatsachen akzeptierte, desto leichter fiel es mir, die Lügen zu hören, die ich mir selbst erzählte.
Ich wäre aus Bali gerne erleuchtet und mit einem Entwurf für mein restliches Leben zurückgekehrt. Doch am Ende des Retreats war mir die Richtung nicht klarer, und deshalb tat ich, was ich glaubte tun zu müssen: Nicht zurückschauen, nicht zur Seite schauen, immer geradeaus weitermarschieren. Halte dich an das Programm . Ich würde nach New York ziehen, sagte ich mir, und dort würden Jonah und ich einander auf eine neue, gesunde, reife Art lieben, nicht mehr wie College-Kids, die so tun, als wären sie erwachsen. Ich würde meine Familie loslassen, weil ich wusste, dass wir uns liebten und in den Ferien sehen würden. Ich würde das tun, was meiner Meinung nach von mir erwartet wurde.
Aber irgendwo in meinem Geist oder meiner Seele ging ein Samenkorn auf, und bald durchschaute ich das ganze Szenario als eine gefällige, traurige Lüge, die ich mir aus einem vollkommen rechtschaffenen Grund erzählt hatte: Ich hatte nicht gewusst, was sich mein Herz insgeheim wünschte.
Meine Bali-Episode endete mit einer Hochzeit, einem Ereignis, das gewöhnlich Optimismus, Zukunftsglaube und die Wiederherstellung der Ordnung symbolisiert. Und das bringt mich auf Jessica.
Sieben Jahre nach unserer Rückkehr aus Bali fuhr ich von Seattle aus eine Stunde nach Süden bis zu einem wunderschönen Garten, der von einem violetten Haus und einem passenden Nebengebäude für Massagetherapie und Yoga flankiert wurde. Der Garten gehörte Jessica, und der Anlass war ihre Hochzeit. Sie trug ihre Hochzeitsschuhe aus Bali, die weißen perlenbesetzten Sandalen. Sie waren unbefleckt.
Beim Anblick von Jessicas Mann kamen einem die schamanischen Rituale in den Sinn, mit denen Jessica ihn angelockt hat, und man zog in Erwägung, es selbst damit zu versuchen. Er tanzt genauso phantastisch wie Jessica; er ist groß und sieht gut aus, er ist klug und … wie soll ich es ausdrücken? Er ist normal . Nicht im mindesten esoterisch angehaucht. Dazu gab er eine hübsche Geschichte zum Besten. Als Jessica ihn zum ersten Mal Antibiotika nehmen sah, sagte sie zu ihm: »Weißt du, du kannst nicht einfach eine Pille nehmen, um all deine Probleme zu lösen!«
Worauf er geantwortet hatte: »Nun, dann nehme ich zwei.«
Nach der Zeremonie entdeckte ich ihn unter einem riesigen Fliederbusch im Garten, wo er eine kleine Pause einlegte.
»Ist dir Jessicas Beitrag zu der Zeremonie aufgefallen?«, fragte er. Das fand ich urkomisch, denn die Zeremonie bestand aus einer Gruppenmeditation mit tibetischen Klangschalen, einem Gong-Ritual, bei dem männliche und weibliche Gongs die Vereinigung von Yoni und Lingam symbolisierten, einer Einladung an die vier Jahreszeiten und ihre jeweiligen Geisttiere, einer Räucherzeremonie mit Ritualfedern sowie Liebes- und Dankbarkeitsweihrauch, einem rituellen Dank an den Steinkopf, den Jessica benutzt hatte, um ihren Liebsten anzulocken (»und es hat funktioniert!«) und vielen schönen Worten über ekstatische Paarungen und das Verströmen und Versenden ihrer Liebe nach außen.
Ich lachte und antwortete ja, ich hätte Jessicas Beitrag zur Zeremonie bemerkt. Er zuckte glücklich die Achseln: »Ich hätte noch viel schrägere Sachen angestellt, um Jessica heiraten zu können.«
Das wäre mir früher sentimental vorgekommen, aber suchen wir nicht alle genau das? Jemanden, dem unsere Marotten gefallen? Einen Liebhaber, einen Mentor, einen Gott, der dich mit all deinen Eigenarten und Widersprüchen wahrnimmt und nicht einen Herstellungsfehler sieht, sondern eine vollkommene und einzigartig liebenswerte Seele?
Ich war achtundzwanzig, als ich es endlich begriff. Ich nahm in mir immer stärker etwas Eigenes, Echtes wahr, das erkannt und geliebt werden wollte. Einen Teil von mir, der an etwas glauben wollte und der bedingungslos geliebt werden wollte als die, die ich bin. Aber war das nicht eine Schwäche? Mir als Kind des Feminismus mussten doch meine Ideale und mein Ehrgeiz genügen! Ich durfte doch nicht das Bedürfnis haben, mich an einen Mann oder einen Guru anzulehnen, und schon gar nicht an einen Gott. Warum hatte ich dann dieses Bedürfnis danach? Ich wollte Jonah davon erzählen, aber mein Stolz ließ es nicht zu. Jonah hielt mich für stark. Ich konnte
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