Bin Ich Schon Erleuchtet

einem Yoga-Camp erwartet hätte, war Christliches. Seit drei Tagen holt Lou ein katholisches Gebet, das ich achtzehn Jahre lang jeden Sonntag gesprochen habe, in den Wantilan.
    Kyrie Eleison, Christe Eleison, Kyrie Eleison  – das bedeutet »Herr, erbarme dich, Christus, erbarme dich, Herr, erbarme dich«.
    Bin ich etwa aus Versehen in einem Bibelcamp gelandet?
    Ich hatte schon immer ein klitzekleines Problem mit dem Glauben meiner Kindheit: Ich kann einfach nicht an den katholischen Gott glauben. Ich würde es ja gerne, aber ich kann nicht, auch wenn ich Ihn gelegentlich anrufe und zu Ihm bete und beiläufig die Namen Gott, Jesus und Maria ins Gespräch einstreue, als wären sie Promis, mit denen ich mal einen Cocktail getrunken habe.
    Ich gehe bei Familienfeiern in die Kirche und tue, was man eben so tut. Ich gehe zur Kommunion, ich spreche die Gebete. Die Rituale gefallen mir immer noch.
    Deshalb überrascht mich meine Reaktion auf dieses kurze Gebet. Kaum hatte Lou die Worte ausgesprochen, musste ich ein Kichern unterdrücken. Ich konnte regelrecht spüren, wie ich zu einem verklemmten Teenager mutierte und mich genauso fühlte wie zu Schulzeiten in der Kirchenbank.
    Fairerweise muss man sagen, dass ich in der Kirche allen Grund zum Kichern hatte. Unser Pfarrer war ein echter Widerling. Jede Woche sah er von der Kanzel auf uns herab und erklärte den Frauen in den Kirchenbänken, sie seien unrein und schmutzig und brächten die Männer zu Fall. Durch ihn lernte ich den Ausdruck »die Nackenhaare sträuben sich«. »Bei diesem Priester sträuben sich mir die Nackenhaare«, sagte meine Mutter eines Sonntags nach der Messe auf der Heimfahrt, als ich zehn war. An jenem Tag hatte unser Priester die Predigt mit den Worten begonnen: »Die Sünde hat ihren Ursprung in der Frau.«
    Derselbe Priester lachte, als ich ihm mit acht anvertraute, dass ich Ministrant werden wollte. Er lachte! Nur meine Brüder durften an den Ritualen teilnehmen, die Glöckchen läuten, die weißen Gewänder tragen und während der Messe auf der Bühne sitzen – pardon, am Altar.
    Kyrie Eleison . Herr, erbarme dich. Der Seelen der Frauen, denn wir sind Versucherinnen. Zu schmutzig, um am Altar, in der Nähe der Hostie zu stehen.
    Als Kind war ich enttäuscht und vielleicht auch insgeheim davon überzeugt, dass ich wirklich ein schlechter Mensch war. Ich fürchtete mich schrecklich vor der Hölle, kein Wunder, bei all den vielen schlimmen Gedanken in meinem Kopf. Als Teenager wurde ich dann wütend. Wir lebten im 20. Jahrhundert, und ich sollte wegen einer Legende verdammt werden! Eva isst einen Apfel, und ihr wollt, dass ich mich hier und heute, mit meinen Jeans und meinem Nirvana T-Shirt, wegen einem Märchen schlecht fühle? Leck mich doch, du alter Knacker . Aus diesem Grund habe ich mich nicht firmen lassen.
    Wie sich herausstellte, gab es so einige Evas, die unserem Pfarrer ihre Äpfel anboten, und nicht alle waren unverheiratet. Eine war noch ein Teenager. Deshalb dient unser Pfarrer seiner Kirche nicht mehr.
    Gelobt sei Gott.

    Auf jeden Fall verstehe ich nicht, wieso man ein christliches Gebet mit Yoga in einen Topf wirft. Hängt das etwa auch wieder mit dem 11. September zusammen? In den sechs Wochen seit dem Angriff reden irgendwie alle um mich herum unentwegt von Gott. Von Gott und von Rache.
    Aber meines Wissens geht es doch bei Yoga darum, vom Ego wegzukommen und uns alle als ein Ganzes zu betrachten. Mir hat man beigebracht, dass Gott all unser Handeln kennt und jeden noch so winzigen Gedanken, jeden Wunsch, jeden sündigen Gedanken mitbekommt, als wäre man der Mittelpunkt Seines Universums. Bestärkt das aber nicht unser Ego und das Gefühl, von den anderen getrennt zu sein?
    Ich hatte gedacht, wir würden hier genau das Gegenteil machen – wir sähen uns gerade nicht als getrennte und einzigartige Wesen, die rund um die Uhr von einem strafenden Gott ausspioniert werden, sondern als Teil einer großen energetischen Kraft, die uns nicht die ganze Zeit bewertet und uns Angst einjagt, dass wir in die Hölle kommen, wenn wir nicht büßen, büßen, büßen. Also ehrlich, ich tue mein ganzes blödes Leben schon Buße (wenigstens hin und wieder), und dabei existiert dieser christliche Gott wahrscheinlich nicht mal! Nur ist mein innerer Affe eben zu primitiv, um das in seinen platten Primatenschädel zu kriegen.
    In Lous Gegenwart geht es mir schon so wie bei den Priestern meiner Kindheit, ich fühle mich schuldig, als könnte er