Bin Ich Schon Erleuchtet
Hände, blickte auf die Wellen und den Himmel und verkündete atemlos: »Dies ist der Beweis dafür, dass es einen Gott gibt!«
Meine Geschwister und ich deklamieren die Aussprüche unserer Mutter gerne mal beim Bier oder wenn wir über den Film Showgirls reden. Dies ist der Beweis dafür, dass es einen Gott gibt ist einer unserer Lieblingssprüche. Aber als Kind starrte ich auf den rotvioletten Himmel und das nasse Gold der untergehenden Sonne am Horizont und fragte mich: Tatsächlich? Und ich befragte mein Bauchgefühl, meine Intuition, meine Sinne und suchte nach einem Beweis: Spüre ich Gott, wenn ich diesen Sonnenuntergang betrachte? Spüre ich Seine Gegenwart?
Vor einigen Jahren fuhr ich zu Amma, der indischen Heiligen, die Leute umarmt. Ich wusste nicht viel über Amma, nur dass sie ein weiblicher Guru ist, der bedingungslose Liebe im Angebot hat. Sie hat diesen Umarmungsfimmel. Sie umarmt jeden, der sich in die Schlange stellt und umarmt werden will. Aber was Ammas Umarmungen von Teenie-Geknutsche unterscheidet, ist ihre spirituelle Qualität. Der einfachste Ausdruck der Verbindung zwischen Geist und Körper.
Mit ihrem runden, lächelnden Gesicht sah sie aus wie ein weiblicher Yogananda, ein mütterlicher Guru mit Vorliebe für Süßigkeiten. Sie empfing ihr Publikum auf einem Thron im Pavillon des Seattle Center, umgeben von verträumten Schülern, hauptsächlich glasig blickenden Nichtindern in gelben und elfenbeinfarbenen Gewändern.
Ich hatte gehört, eine Umarmung von Amma könne die Seele erwecken. Und sei heilkräftig. Ihre Umarmungen hätten Leben verändert. Mit solchen Aussagen konnte man mich ködern.
Ihre Anhänger, die sich um sie versammelt hatten, sangen zu Livemusik. Das Chanten erinnerte mich an meine Zeit im balinesischen Wantilan, und sogleich schien sich die kalte Versammlungshalle durch das kollektive Summen der Sanskrit-Mantren zu erwärmen. In mir wuchs die Hoffnung, ich könnte etwas Verlorenes wiedergewinnen.
Über der Bühne, auf der Amma umarmte, lief auf einer großen Leinwand ein Film. Er zeigte Bilder von Amma, die Menschen umarmt: Amma, Erdbebenopfer umarmend, Amma, Tsunamiopfer umarmend, Amma, Gaumenspaltenopfer umarmend, Amma, Bill Clinton umarmend. Am hinteren Ende des Saals ging es zu wie auf einem Flohmarkt, überall Tische und Kisten voller Krimskrams. Ich war mit Keisha, einer alten Freundin, da, und während wir darauf warteten, uns in die Darshan-Schlange einreihen zu dürfen, durchstöberten wir die Kisten, in denen sich Kaffeebecher, Kugelschreiber, Schlüsselanhänger und Magneten mit Ammas Gesicht stapelten. Ich kaufte einen Magneten für vier Dollar. Keisha stürzte sich auf die Fotos von Amma. Sie nahm eines in die Hand und streichelte es mit den Fingerspitzen.
»Lassen Sie das!«, keifte eine der Frauen aus Ammas Gefolgschaft, eine Amerikanerin mit grauen Hippiezöpfen und milchigen Augen. »Wenn Ihre Fingerabdrücke auf den Fotos sind, können wir sie nicht mehr verkaufen.«
Keisha starrte die Frau an, als hätte sie nicht alle Tassen im Schrank, und ich wurde nervös. Wenn Keisha wütend ist, fühle ich mich immer dafür verantwortlich. Sie wandte sich von der Schülerin ab und sagte gut vernehmlich: »Amma, bewahre mich vor deinen Anhängern!«
Keisha ging kurz darauf weg, aber erst warf sie noch einen Blick zu Amma hinüber und sagte: »Weißt du, es muss leicht sein, alle bedingungslos zu lieben, wenn sie dich wie eine göttliche Mutter behandeln.« Ich lachte, und Keisha zuckte die Schultern. »Nein, ich bin nicht neidisch oder so.«
Wir verabschiedeten uns, und ich musste meine Amma-Erfahrung allein machen. Das war okay – ich wollte herausfinden, ob sie mich überzeugen konnte, ob ich mein Vertrauen auf eine sogenannte Heilige setzen konnte. Ich wollte Amma mit eigenen Augen sehen.
In der Schlange standen Menschen, die mit einem Wunder rechneten. Eltern mit Kindern im Rollstuhl. Frauen mit Tüchern auf den von der Chemotherapie kahlen Köpfen. Menschen, die auf ihren Glauben mehr als angewiesen waren. Als ich aufrückte, sah ich Amma ein Kind mit Schläuchen in der Nase umarmen und versuchte mich gegen diesen Anblick zu wappnen; wer kann schon objektiv sein, wenn Amma ein krankes Kind umarmt? Und nicht nur einmal umarmt, wie die anderen Wartenden. Man hätte meinen können, es sei ihr eigenes Kind, so fest drückte sie es an die Brust und so liebevoll wiegte sie es. Als ich das sah, wünschte ich ihr Macht. Ich wollte, dass Amma Wunder
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