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Bin Ich Schon Erleuchtet

Bin Ich Schon Erleuchtet

Titel: Bin Ich Schon Erleuchtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Morrison
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wirkte.
    Beim Anblick gesunder Leute wie mir regten sich keine so starken Wünsche. Die glücklich grinsenden Heilssucher aus Seattle, die nach der Umarmung so taten, als hätte sie der Blitz getroffen, standen verzückt lächelnd mit feuchten Augen herum. Diese demonstrative Post-Umarmungs-Ekstase fand ich ziemlich aufgesetzt. Aber wieso hatte ich das Bedürfnis, ihnen allen eins überzubraten, wo sie doch einfach nur ein bisschen bedingungslose Yoga-Liebe genießen wollten? Irgendwas konnte mit mir nicht stimmen.
    Das Ende der Darshan-Schlange befand sich hinten im Saal, und wenn man drinnen war, setzte man sich hin und rückte alle paar Minuten eine Reihe auf. Im inneren Heiligtum angekommen, wo ungefähr siebzig Jünger auf ihren weichen Kissen saßen, meditierten oder sich anstrahlten, musste man die Eintrittskarte, die Handtasche und alles andere abgeben, was der Umarmung im Weg sein konnte. Ich kam mir lächerlich vor, als ich auf den Knien auf Amma zu rutschte und zu ihr hochlinste, als würde ich gleich »Meiiiister!« winseln.
    Sie packte mich mit beiden Händen und zog mich an ihre Brust, wobei sie mir etwas ins Ohr sang, das wie »Gluckgluckgluck« klang. Sie roch phantastisch nach sauberer Wäsche und Sandelholz. Ich konnte ihren Duft noch auf dem ganzen Heimweg an mir riechen.
    Man kann Ammas Parfum in vielen Bioläden kaufen. Es heißt »Ammas Rose«.
    In der Nachmittagshektik auf der Mercer Street fühlte ich mich nicht anders als vorher. Kein Vergleich zu meinem Bali-Erlebnis. Aber vielleicht lag das an mir. Ich hatte mich Ammas Umarmung nicht wirklich ausgeliefert. Mich beschäftigten die ganze Zeit Gedanken wie: Ist das echt? Spüre ich etwas? Ist Amma der Beweis, dass es einen Gott gibt?
    Ich konnte mich nicht zu einem Ja durchringen. Amma war wie der Ozean, wie der Sonnenuntergang. Ich hatte nicht das Gefühl, dass sie mich als Person wahrnahm.
    Ich hatte gelesen, dass es Heilige gibt, die in manchen ihrer Anhänger ein spezielles Potential erkennen und sie durch ein Antippen mit dem Finger erleuchten. Ungefähr das suchte ich.
    Das, oder eine zweite Indra.
     
    Auf Bali hatte ich etwas anderes erlebt. Meine Kundalini-Erfahrung war mir passiert. Ich hatte keine Zeit gehabt, sie in Frage zu stellen oder nach Beweisen zu suchen – sie war selbst der Beweis, dass an dieser Yoga-Geschichte was dran war. Vorher hatte ich die Idee eines »Mentalkörpers«, einer Einheit von Geist und Körper, belächelt. Aber durch meine körperlich-spirituelle Erfahrung war mir klargeworden: Die Trennung von Körper und Geist ist falsch. Und wenn diese Trennung falsch ist, was ist dann mit der Trennung zwischen mir und dem Rest der Welt?
    War demnach meine Kundalini-Erfahrung der Beweis dafür, dass es einen Gott gibt?
    Nicht unbedingt. Aber sie schien darauf zu deuten, dass an der Wissenschaft des Yoga etwas dran ist. Dass mein Geist tiefer geht, als ich dachte. Das Meditieren nach meiner Kundalini-Erfahrung war wie eine Erkundungstour in die Abgründe meiner Seele, von denen ich jeden Tag mehr entdeckte. Und je tiefer ich vorstieß, desto stärker fühlte ich eine Art von Gegenwart in der Welt, die man nur als gottähnlich beschreiben konnte. Nicht der Gott, mit dem ich aufgewachsen war, sondern etwas – etwas Liebevolles, jenseits der Alltagswelt. Etwas Gottähnliches.
    Lou riet mir, besonders auf meinen Körper zu achten. Wenn ich Kopfschmerzen oder Muskelbrennen bekäme, sollte ich ihm Bescheid sagen, denn das konnte bedeuten, dass meine Erfahrung eher neurologische als spirituelle Ursachen hatte. Solche Probleme hatte ich nicht. Stattdessen glaubte ich endlich zu verstehen, und alles war so einfach: Alles auf der Welt braucht Liebe. Ich würde die Welt mit Liebe retten. Wenn ich damals schon Amma gekannt hätte, hätte ich meinen Mit-Yogis und dem ganzen Dorf Penestanan geraten, sich in die Schlange zu stellen und sich umarmen zu lassen.
    Vor einem warnte mich Lou allerdings: Ich sollte versuchen, mich nicht an meine Kundalini-Erfahrung zu klammern. Ich sollte sie loslassen. Wenn ich versuchte, sie zu wiederholen, sagte er, würde ich nur Rückschritte erleiden. Jeder Tag sei ein Neuanfang, ich sollte an meine Meditation immer so herangehen, als hätte ich nie eine Kundalini-Erfahrung gehabt, als meditiere ich zum allerersten Mal. Ich sollte die Disziplin aufbringen, mein Ego nicht in einen neuen Mantel der Spiritualität zu hüllen.
    Etwas Dämlicheres hatte ich nie gehört. Meine Kundalini-Erfahrung

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