Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
Sätzen zusammen. »Wenn Sie an Gott glauben und entsprechend leben, und Sie stellen nach Ihrem Tod fest, dass es Gott nicht gibt, haben Sie nichts verloren!«
Hier müsste man eigentlich direkt einhaken, denn gläubige Menschen, die ihr Leben als Diener eines erfundenen Alphamännchens und seiner selbst ernannten Vertreter verbringen, können sehr wohl etwas verlieren: tonnenweise Lebenszeit beim Beten, Büßen und Beichten, ihre geistige und sexuelle Freiheit, ein Leben ohne Angst vor dem ewigen Feuer und nicht zuletzt auch ihr Geld, mit dem sich Kirchenfürsten Paläste bauen und Goldschmuck anfertigen lassen. Vor allem aber gehen diese Menschen das Risiko ein, ihr Streben nach Glück von der kirchlichen Lehre ins Jenseits verschieben zu lassen – wahrscheinlich einer der besten Wege, den Kampf gegen Unglück im Diesseits erst gar nicht anzutreten.
»Wenn Sie aber so leben, als ob es Gott nicht gäbe«, setzt Imkamp sein Szenario fort, »und Sie stellen nach Ihrem Tod fest, dass es Gott gibt, sind Sie ganz schön im Eimer!«
Das Publikum lacht, klatscht, nickt. Die Schlacht um die Gunst des Publikums verlieren wir durch seinen Zauberspruch zwar nicht, einige unserer Truppenmitglieder verwandelt er damit aber sicher zu seinen Mannen.
Aber was passiert den Christen eigentlich, wenn im Himmel eine ganz andere Gottheit auf sie wartet? Eine von den Abertausenden, an die Blaise Pascal, Prälat Dr. Imkamp und Co. nicht geglaubt haben? Haben die darüber mal nachgedacht? Das absolute Horrorszenario für einen frommen Christen: sterben, nach oben schweben, an der Himmelspforte klopfen, und wer macht auf? Eine lesbische, pazifistische Vegetarierin – auf diesen Fall wäre ich beispielsweise besser vorbereitet.
Während der Prälat nun immer lauter wird, in seiner kleinen Predigt die Augen aufreißt und seine Fäuste ballt, frage ich mich wieder einmal: Wie freaky muss eine Gesellschaft eigentlich sein, um Männer wie ihn als Gelehrte und als moralische Instanz anzuerkennen? Bei allem nötigen Respekt: Der Mann kann noch nicht einmal diese Wette zu Ende denken! Wo und wie hat so jemand seinen Doktortitel erworben? In Gandalfs Zauberschule oder in Harry Potters Nachbarklasse? Mit einer Dissertationsschrift über ein Geisterwesen?!
Meine Diagnose ist inzwischen eindeutig: Nach meinen Begegnungen mit Foodfreaks, Sammelwütigen, Rolltreppenlinksstehern und Fußballfanatikern bin ich nun wahrhaftig in der Champions League des Nonsens angekommen. Religion: der Gipfel der Absurdität, der Mount Everest des Aberglaubens.
Aber vielleicht ist der ganze Zirkus ja auch Absicht? Zwar wirkt der Prälat auf mich, als sei er heute Abend mit der Zeitmaschine angereist, aber eines muss man ihm lassen: Gewitzt ist er ja. Ohne einen einzigen inhaltlichen Punkt zu bringen, bietet er Stefan Aust eine Taufe zu Sonderkonditionen an und verlässt dann schmunzelnd die Kanzel.
20:46 Uhr. Der Moderator eröffnet die Publikumsdiskussion. Ein Mann stellt kritische Fragen an den Gottesblock: Ob es nicht an der Zeit wäre, die einst sinnvolle Religion durch friedlichere Alternativen zu ersetzen. »Immerhin fliegt uns das Restrisiko der Religion fast täglich um die Ohren«, meint der Mann und setzt sich wieder.
Matussek ergreift das Wort, redet viel, auf die Frage antwortet er aber nicht. Hätte also auch Theologe werden können.
20:49 Uhr. Die nächste Frage geht an mich und riecht nach Zündstoff für unser Gefecht: »Wie erklären Sie sich denn, dass ausgerechnet die Angehörigen der primitiven Hirtenreligion, wie Sie sagen, die einflussreichsten Wissenschaftler des zwanzigsten Jahrhunderts waren?«
»Indem sie sich von ihrer Religion entfernt haben und somit zu Wissenschaftlern werden konnten.« Der Atheistenfreak in mir ist nun hellwach. »Wie es zum Beispiel bei Albert Einstein zu beobachten ist, der sich gegen Ende seines Lebens von seinem kindischen jüdischen Aberglauben losgesagt und das naturalistische Weltbild begründet hat.«
Jetzt prescht der Prälat nach vorne, zieht seine stärkste Waffe. »Kindischer jüdischer Aberglaube?«, keift er. »Das geht absolut nicht! Sie können nicht in Berlin den jüdischen Glauben disqualifizieren.« Sein moralischer Zeigefinger ist jetzt dauersteif. »Und dann kommense hin und sagen, die katholische Kirche hat die Juden verfolgt!« Er starrt mich an und wettert den wichtigsten Satz seiner perfiden Argumentationskette: »Die Judenverfolger, das sind Sie!«
Ein Raunen geht durchs Publikum,
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