Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
ihre Lehren mit Schwertern und Scheiterhaufen in die Volksseele zu brennen, betrachte ich das als Erfolg. Stefan Aust verabschiedet sich von uns und dem Publikum, ich lehne mich zurück, schließe die Augen und genieße den Moment, in dem die massive Anspannung von mir abfällt.
Als ich sie wieder öffne, fällt mein Blick auf einen älteren Herren in der ersten Reihe, der nach all meinen Erfahrungen mit sonderbaren Typen auffällig unauffällig aussieht. Er presst die Lippen aufeinander und bewegt den Kopf leicht hin und her. Mit übereinandergeschlagenen Beinen hat er sich tief in den Stuhl sinken lassen und schaut mir beim langsamen Klatschen tief in die Augen. Was für ein Freak!, denkt er sich wahrscheinlich.
Ich nicke ihm zu. Ja, allerdings, das bin ich – und spätestens nach dieser Diskussionsrunde bin ich es von Herzen gern.
18
FREAK GEHT SCHULHOF
D urch die großen Fenster der Fabriketage scheint die Sonne auf meinen neuen Schreibtisch. Neben dem Monitor stehen ein Telefon und ein Bilderrahmen mit einem Foto von Sarah und Klara, die kabellose Maus und die futuristisch anmutende Tastatur machen meinen neuen Arbeitsplatz perfekt.
Am anderen Ende des riesigen Raumes sitzt einer meiner neuen Bürokollegen am Schreibtisch und führt eine Skype-Konferenz mit Kunden in Barcelona und New York. Tobi ist Web-Entwickler und bekennender IT -Nerd und kommt eigentlich nur hinter den zwei Monitoren hervor, um sich etwas zu essen zu holen.
Ein anderer Kollege sitzt im Schneidersitz auf dem Boden und montiert neue Bremsen an sein Rennrad. Joe ist Fotograf, Social-Media-Experte und Fahrradenthusiast. Gemeinsam sind die beiden nicht nur ein Team für erfolgreiches Webhosting, wie sie es nennen, sondern auch Hauptmieter des Incredible Office : eines Kreuzberger Fabriklofts, in dem sie zwei weitere Tische zur Untermiete anbieten. Einen davon besetze ich seit zwei Wochen, für den anderen wird sich nachher eine Frau vorstellen, die hier ihre Kolumne für ein Magazin schreiben will.
Mein Telefon klingelt. »Giordano-Bruno-Stiftung, Philipp Möller am Apparat, hallo?«
»Ebenfalls gbs, hier is’ Herbert Steffen. Hallo Phil, haste disch denn im Büro gut eingelebt?«
Ich lehne mich in meinem Stuhl zurück, lege die Füße auf den Tisch und lasse mir die Sonne ins Gesicht scheinen. Gut eingelebt ist ja schon fast kein Ausdruck mehr – ich fühle mich pudelwohl! Nachdem sich Herbert, der Vorsitzende und Gründer der Stiftung, nämlich meinen Auftritt in der Diskussionsrunde angeschaut hatte, wurde ich von ihm und Michael fast umgehend zum festen Pressereferenten der Stiftung ernannt – mit dem Vorschlag, mir ein kleines Büro zu suchen, von wo aus ich in Ruhe Interviews geben, Vorträge vorbereiten oder das machen könne, wozu er oder Michael nicht kämen.
»Und, hat beim Amt auch alles funktioniert?«, will er wissen.
»Ja – alles super! Ich bin jetzt offiziell Freiberufler und bekomme sogar noch neun Monate lang die sogenannte Existenzgründungsförderung.«
»Toll! Aber kannste denn davon ’ne Familie ernähren?«
»Zusammen mit den Honoraren von euch, ja. Mittelfristig werd ich wohl noch andere Einnahmequellen finden müssen, aber da wird sich schon was finden. Jetzt kümmere ich mich erstmal um die Vorträge, bei denen ich Michael vertreten soll.«
»Super! Du weißt ja: Es kann ein bisschen dauern, aber Ziel ist, dich neben ihm als zweites Gesicht der Stiftung aufzubauen.« Mit einem netten Lachen verabschiedet er sich. »Also: Husch, husch, ran an die Arbeit!«
Ich lehne mich im Schreibtischstuhl zurück und denke nach. Das war alles ganz schön knapp. Nur drei Wochen vor Ablauf meines Hartz- IV -Countdowns kam Herberts Angebot, eine Woche später habe ich mir vom Notar eine Tragfähigkeitsbescheinigung für meine Existenzgründung ausstellen lassen, und seit der Bestätigung der Agentur für Arbeit bin ich ganz offiziell freiberuflicher Pressereferent einer Denkfabrik für Humanismus und Aufklärung. Ein etwas sonderbares Jobprofil, aber es ist ja nicht das erste Mal in meinem Leben, dass ich meinen Lebensunterhalt auf eine ungewöhnliche Art und Weise verdiene. Außerdem kann ich nun endlich das tun, was ich mir seit dem Ende meines Studiums wünsche: einen Beruf ausüben, für den mein Herz schlägt.
Als ich mich gerade an die Arbeit für den nächsten Vortrag machen will, steht der Rennradbastler an meinem Schreibtisch. »Coffee and Cigarette?«
»Yes!«
Aus irgendeinem Grund verwendet Joe, der
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