Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
die von Kirchen angeboten werden, den ersten Applaus sicher. »Aus religiösem Analphabetismus«, schickt er hinterher, »ist schon sehr viel Unmoral in die Welt gekommen.«
Richtig: Er war es ja, der damals »Werte brauchen Gott« auf Werbeplakate hat schreiben lassen – und genau dafür müsste er heute doch zumindest einen kleinen Seitenhieb von mir bekommen. Weil das Zittern meiner Hände inzwischen etwas nachgelassen hat, stibitze ich Herrn Aust einen Kugelschreiber und füge meiner Rede damit noch eine Extraportion Schärfe hinzu. Die wird sitzen!
Huber spricht von Menschen, die nach der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima dafür beteten, dass alles wieder gut werde, spricht in protestantischer Weichspülmanier von Nächstenliebe und Gottvertrauen. Dann wird es interessanter: »Ich habe gelernt, Religions- und Kirchenkritiker zu sein«, sagt er und klingt dabei sogar aufrichtig. »Kirchen haben das Misstrauen von Menschen missbraucht und damit auch das Gottvertrauen geschwächt.«
Meint er damit den sexuellen Missbrauch, der in den Reihen seiner Amtskollegen nachweislich vertuscht wurde, oder was?!
»Und trotzdem«, fährt er fort, »ich weiß keine andere Instanz, die ein wirksameres Gegenmittel ist, auch gegen das, was im Namen der Religion schiefgelaufen ist – als die Religion selbst!«
Moment mal: Gleiches mit Gleichem heilen? Das ist ja quasi heilige Homöopathie! Ob sich damit wirklich die Schmerzen der Opfer sexueller Gewalt lindern lassen, wage ich zu bezweifeln.
Applaus heimst er schließlich für seine doch eigentlich selbstverständliche Bemerkung ein, die Toleranz dem Fundamentalismus vorzuziehen, dann sind seine vier Minuten um.
20:15 Uhr. Alan Posener betritt das Pult und meint, dass ein besserer Schutz des Atomkraftwerks sinnvoller gewesen wäre, sodass der von Huber zitierte Japaner nun nicht beten müsse. »Schon immer haben die Religionen die Verzweiflung der Menschen ausgenutzt – und das gefällt mir nicht.«
Er ist der Erste, der sich an den Islam herantraut, und der Erste, bei dem die grüne Lampe am Pult rot wird: Die vier Minuten sind rum, in zehn Sekunden wird das Mikro abgeschaltet.
20:20 Uhr. Stefan Aust moderiert Matussek als nächsten Redner an, erwischt seinen alten Bekannten jedoch am Handy und fragt, ob er gerade noch eine SMS von oben bekäme. Das Publikum freut sich über den Witz, Matussek erklärt, bloß die Stoppuhr einstellen zu wollen.
»Du hast vergessen, dass ich gerade ein Buch geschrieben habe«, zickt er den Moderator vom Rednerpult aus an und nennt dann den Titel seines Werkes: Das katholische Abenteuer .
Das passt, denn alles, was dieser Mann nun von sich gibt, lässt sich durchaus als abenteuerlich bezeichnen. Ich muss jetzt höllisch aufpassen, denn laut Redaktion sollen wir uns zu Beginn unserer Beiträge kurz auf den Vorredner beziehen – und immerhin bin ich schon nach ihm dran! Das Problem ist aber: Wo soll ich bei ihm bloß anfangen? Vielleicht bei seinen Aussagen über Richard Dawkins, der seit seinem Buch Der Gotteswahn zur liebsten Zielscheibe gläubiger Aktivisten geworden ist. »Das ist dann nicht mehr Wissenschaft«, predigt Matussek über den Religionskritiker und wackelt dabei mit dem Kopf, »das ist dann schon Scientology, eben ein unerschütterlicher Sektenglaube, der Abtrünnige nicht dulden kann.«
Wie kann jemand mit einem solch mittelalterlichen Verständnis für Wissenschaft über Jahre lang ein ganzes Ressort eines renommierten Nachrichtenmagazins geleitet haben? Was sagt das über unsere Gesellschaft aus, wenn Typen wie er solche Posten bekleiden? Dazu fällt mir ein alter Spruch ein, ich notiere ihn schnell als Intro auf meinem Zettel. Dann steigt meine Nervosität wieder rasant an, denn nach der nächsten Abstimmung muss ich ans Mikro.
20:25 Uhr. Matussek hat deutlich überzogen, trotzdem wurde ihm der Saft nicht abgedreht. Die Abstimmung findet statt, wir sind von 36 auf 27 Prozent gefallen, haben in unseren Reihen also schmerzhafte Verluste zu verzeichnen. Die Moral der Truppe sinkt.
»Jetzt sind Sie wohl alle schon bekehrt«, sagt der Moderator und lockert die Runde damit erneut auf. »Aber nun muss die Seite hier«, er zeigt auf mich, »sich wohl mal ein bisschen Mühe geben!«
Ich wische mir die Hände noch einmal an der Jeans ab und atme durch. Dann nennt Stefan Aust meinen Namen und erklärt erst einmal, wer ich bin. Ich bin nämlich nicht nur der Jüngste und der am unpassendsten Gekleidete, sondern auch
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