Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
Büroplatz, oder?«
»Oh, right!« Joe wirft einen Blick auf seine goldene Digitaluhr. »Sie müsste jeden Moment da sein.«
Als ich es gerade geschafft habe, mich wieder auf meine Arbeit zu konzentrieren, klingelt es an der Tür. Aus dem Augenwinkel sehe ich einen Lockenkopf, dann höre ich einen starken britischen Dialekt, der mir entfernt bekannt vorkommt.
»Debbie?«
»Philipp? Wow, that’s cool!« Die kleine Frau, der ich vor einem Jahr im Arbeitsamt geholfen habe, fällt mir unvermittelt um den Hals. »You work here? Aren’t you a teacher?«
Das ist typisch für diese Stadt: Dreieinhalb Millionen Einwohner, die aus aller Welt hierherströmen, und letztlich trifft man sich immer irgendwo wieder.
»Well, I used to be, but somehow I became a professional humanist.«
»What kind of job is that?«
»Well, it’s a long story. And you? Are you a translator now?«
Sie schüttelt lachend den Lockenkopf und berichtet im Schnelldurchlauf von den letzten Monaten. Neben vereinzelten Aufträgen als Übersetzerin hat sie die typische Karriere eines Menschen hingelegt, der um jeden Preis in dieser Stadt bleiben will: erst Barfrau in einem der vielen Berliner Clubs, dann Bühnenbildnerin im Theater, zwischendurch ein unbezahltes Praktikum beim Film. Joe und Tobi haben sich inzwischen zu uns gestellt, und so merken wir schnell, dass Debbie bestens in unsere merkwürdige Runde passt: ein Vorzeigehipster, ein bekennender Nerd, eine jobflexible Quatschtasche und ein Berufsatheist – das Incredible Office , hier ist der Name Programm!
Nachdem ich also schon wieder eine Stunde damit verbracht habe, nicht zu arbeiten, schaue ich irgendwann erschrocken auf die Uhr und verabschiede mich schnell von meinen Kollegen.
»Was machst’n noch?«, will Joe wissen.
Ich lächele ihn an und schnalze mit der Zunge: »Isch geh Schulhof!«
Zwei Stunden später schiebe ich lächelnd den Kinderwagen durch dasselbe Eingangstor, das ich vor ziemlich genau einem Jahr von der anderen Seite aus in Richtung »echte Welt« durchschritten habe. An meiner Hand läuft Klara und quietscht vor Freude beim Anblick der vielen Kinder, die sich hier lauthals tummeln. Sarahs Reaktion fällt etwas anders aus.
»Hier sieht’s ja immer noch so furchtbar aus«, sagt sie und schaut sich mit gerümpfter Nase das Schulgebäude und den Hof an. Während ihres bisherigen Lehramtsstudiums an der Universität Potsdam hat sie einige Unterrichtsbesuche an den dortigen Schulen hinter sich gebracht und kam stets begeistert und motiviert nach Hause. »Ein solcher Schulhof wäre dort vollkommen undenkbar!«
Es dauert nicht lange, bis mich einige Kids entdeckt haben und schreiend auf uns zulaufen. Wie früher drängeln sie sich in einer Traube um uns herum und plappern wild durcheinander.
»Züüüsch, Herr Mülla, wo warst du so lange – krank?«
»Herr Mülla, dein Tochter, sie is iiieeeberniedlisch!«
»Aboooo, kannst du mit Gitarre wieder Türkei spielen? Bittebittebitte!«
Ein Mädchen, das inzwischen die vierte Klasse beendet haben müsste, wendet sich direkt an Sarah. »Frau Mülla, bist du Herr Müllas Frau?«
Wir lächeln uns kurz an und zucken mit den Schultern.
»Ja, bin ich«, antwortet Sarah. »Und wie heißt du?«
»Sch’eisse Cassandra.« Sie schirmt die Augen gegen die Sonne ab und blinzelt. »Kannst du mein Lehrerin sein? Ja, kannst du?«
Ein paar andere Jungs und Mädels kümmern sich schnell um Klara, die über beide Ohren grinst, als die Kids Grimassen schneiden und mich fragen, ob sie mit ihr ein bisschen buddeln gehen dürfen. Ich nicke und übergebe mein strahlendes Töchterchen an meine ehemaligen Schüler. Es ist ein ungewohntes Bild, sie an den Händen dieser Kids zu sehen. Und ein unerwartet schönes, dennoch begleitet Sarah die Meute sicherheitshalber.
»Krass, sind die groß geworden!«, murmele ich vor mich hin, werde dann aber von hinten angepöbelt.
»Na samma – klingst ja schon wie ’n alter Oppa!« Geierchen schlägt mir auf die Schulter, dass die Knochen knacken, und nimmt mich dann fest in den Arm. »Schön, dich zu sehen, Herr Mülla! Haste endlich ’n Job jefunden?«
Ich nicke, bevor ich antworte. »Ja, hab ich. Keine Festanstellung im eigentlichen Sinne, keine festen Bürozeiten und kein festes Gehalt – aber ich mach was Sinnvolles, kann davon leben und bin dabei echt happy!«
»Wat soll’n dit schon wieder heißen?« Er zieht eine Augenbraue hoch und schaut mich von der Seite an. »Biste jetzt
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