Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
würden, hat er eine einfache Antwort: »Tun sie nicht – du glaubst es nur und fühlst dich deshalb besser.«
»Aber bei unserem Sohn hat’s auch schon geholfen – und der kann sich das doch noch gar nicht einbilden!«
»Aber du«, entgegnet Dieter, »du kannst dir einbilden, dass die Zuckerkügelchen etwas bewirken. Ob’s ihm wirklich besser geht, kannst du schließlich gar nicht wissen.«
Den besten Beweis für die Wirkungslosigkeit der Globuli, erklärt Dieter, hätten tragischerweise die Mitglieder des Nazi-Regimes geliefert, weil sie der »verjudeten« Schulmedizin, wie sie es nannten, etwas entgegensetzen wollten und großflächig Homöopathie einsetzten. »Die Leute sind damals wie die Fliegen an den einfachsten Krankheiten gestorben«, meint Dieter. »Dabei hätte man sie mit einfachsten Medikamenten heilen können. Homöopathie hat über den Placeboeffekt hinaus keinerlei Wirkung.«
Aufgebracht erzählt Betty nun die Geschichte einer Nagelbettentzündung, die dank Globuli schon drei Tage später abgeklungen sei, woraufhin Dieter wieder laut lacht und ihr erklärt, dass fast jede Entzündung nach ein paar Tagen wieder verschwinde. Betty und ihr Mann rücken von ihrer bemerkenswerten Beratungsresistenz jedoch nicht ab, sondern ziehen stattdessen ihren letzten homöopathischen Trumpf.
»Wer heilt, hat recht!«, sagt Piet entschlossen und verschränkt die Arme vor der tätowierten Brust.
Doch Dieter lässt sich nicht abwimmeln. »Wer recht hat, heilt«, entgegnet er gelassen und gibt einen kurzen Einblick in das, was er evidenzbasierte Medizin nennt. Als Folge der systematischen Überprüfung des Heilerfolges therapeutischer Maßnahmen sei schließlich nicht nur die Lebenserwartung, sondern auch die Lebensqualität der Menschen gestiegen. »Eigentlich ist es doch ganz einfach«, fasst er zusammen, »was nachweislich wirkt, heißt Medizin, und alles andere nennt sich Alternativmedizin.«
Eine kurze Gesprächspause entsteht, dann gerät Piet in Rage und regt sich über die Pharmaindustrie und deren mafiöse Machenschaften auf, die jedes Jahr mehrere Milliarden Euro mit der sogenannten Schulmedizin verdiene.
»Stimmt absolut!«, räumt Dieter ein und schlürft an seinem Kakao. »Aber ganz umsonst sind eure Kügelchen ja auch nicht. Und wenn man bedenkt, dass die ausschließlich aus Zucker bestehen, ist die Gewinnspanne …« Weil Betty und Piet anscheinend nicht mehr zuhören, bricht er seinen Satz ab. »Na ja, schaden kann es ja auch nicht«, versucht er dann zu retten, was noch zu retten ist. »Hauptsache, ihr verzichtet zugunsten der Globuli nicht auf wirksame Medikamente.«
Versöhnlich schüttelt Piet schon den Kopf, doch leider legt Dieter noch einen drauf: »Oder auf Impfungen.«
»Leute, bitte«, schalte ich mich ein, als ich Bettys Blick sehe, »lasst uns nicht auch noch darüber streiten!«
Als die kürzliche Debatte unserer Freunde an diesem Punkt angelangt war, verließ eines der Elternpaare den Raum und wollte das andere nie wieder sehen – genau das scheint uns nun auch bevorzustehen. Im Einklang mit ihrer restlichen Auffassung von Medizin erklären die beiden Moderocker nämlich auch Impfungen für gefährlich und meinen, es sei immer noch ihre Entscheidung, ob sie ihr Kind diesen Gefahren aussetzen.
»Das ist keineswegs nur eure Entscheidung«, sagt Dieter nun aufgebracht, »weil ihr damit die Gesundheit anderer aufs Spiel setzt!« In den allermeisten Ländern, erklärt er lauthals, seien die schlimmsten Krankheiten längst ausgerottet, nur dort, wo Impfgegner ihre Ideologie verbreiteten, würden diese wieder epidemisch ausbrechen. »Und wer als ungeimpfter Erwachsener die Masern bekommt«, schließt er sein Statement wütend ab, »hat gute Chancen, daran zu krepieren!«
»Deswegen gehen wir mit unserem Sohn demnächst auf eine Masern-Party«, versucht Piet ihn zu beruhigen, »damit er sich ansteckt.«
Jetzt fällt Dieter alles aus dem Gesicht. »Ihr habt sie doch nicht mehr alle!«
»Komm jetzt, Piet«, meint Betty plötzlich, »das müssen wir uns nicht bieten lassen.«
»So etwas Verantwortungsloses!«, schaltet sich plötzlich eine Mutter von weiter hinten in die hitzige Diskussion ein, woraufhin Betty ihr mehrere sehr unanständige Wörter an den Kopf schmeißt und dann mit ihrem Sohn im Arm auf Socken aus dem Café stürmt.
Dann herrscht Stille. Unter den Blicken der Anwesenden sammelt Piet wortlos die Klamotten seiner Familie ein, nickt mir kurz zu und folgt dann seiner
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