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Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)

Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)

Titel: Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Möller
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sich in der kleinen Kabine auch geruchlich niederschlägt. Seine langen grauen Haare hat er zu einem Pferdeschwanz gebunden.
    »Gehse au sum Tess?«, fragt er mich, als die Türen sich schließen, und blinzelt dabei ungefähr zweimal pro Sekunde.
    Wie will jemand mit einer solchen Aussprache einen Job als Telefonist ausüben? Da könnte sich auch jemand ohne Führerschein als Busfahrer oder ein Analphabet als Schriftsteller bewerben. Oder eben ein Erwachsenenbildner als Grundschullehrer …
    Ich kann gerade noch mit einem Nicken und einem Lächeln antworten, da hält der Fahrstuhl schon an. Durch eine Glastür betreten wir den Eingangsbereich des Callcenters, in dem Männer und Frauen verschiedener Altersgruppen sitzen. Einige von ihnen schauen uns kurz an und grüßen leise. Auf der linken Seite führt ein beleuchteter Korridor um die Ecke, rechts kann ich im Halbdunkel einen großen Raum mit langen Tischreihen entdecken.
    »Seita summ Tess da?«, fragt mein Fahrstuhlfreund in die Runde, woraufhin ein Mädchen stumm nickt und der Ledermann einen der zwei freien Sitzplätze belegt.
    Der andere befindet sich neben einer jungen Frau, die mich Kaugummi kauend aus stark geschminkten Augen anschaut. Ihre Haut unterscheidet sich farblich kaum von der weißen Wand hinter ihr, dafür ist alles andere tiefschwarz – vom Lippenstift über die Fingernägel, ihre komplette Kleidung sowie ihre asymmetrische Kurzhaarfrisur. Eines ihrer langen Beine hat sie gegen den Snackautomaten gestemmt, der schräg vor ihrem Stuhl steht, und mit dem Oberkörper ist sie so weit in den Sitz gerutscht, dass ihr Hintern kaum noch das Stuhlpolster berührt. Mühevoll nehme ich neben ihr Platz, ohne sie dabei zu berühren, und tue dann so, als würde ich etwas in meinem Telefon nachschauen. Smartphone sei Dank. Was haben die Menschen eigentlich getan, als sie noch keinen internetfähigen Hosentaschencomputer mit sich herumgetragen haben, auf dem sie herumspielen konnten, wenn sie nichts mit sich anzufangen wussten?
    In dem Wartezimmer ist es so ruhig, dass ich vom hellen Ende des Korridors her leises Stimmengewirr hören kann. Dann nähern sich von dort schnelle Schritte, bis ein Mann, der ungefähr in meinem Alter sein muss, mit zackigen Bewegungen das Wartezimmer betritt. An der Brusttasche seines grauen Nylonhemdes prangt ein Schild mit dem Firmenlogo, an den Seiten seiner Dreiviertelhosen sind Taschen aufgenäht. Wortlos schaut er sich einmal in der Runde der Wartenden um, nickt meiner Sitznachbarin zu und geht mit ein paar Münzen in der Hand zum Automaten. Als einige eingeworfen sind, beugt er leicht die Knie und lässt den Kopf vor der Auswahl an Süßigkeiten, Chips und verschiedenen Salamivarianten hin- und herschweifen. Alle Augen sind auf ihn gerichtet, als sich eine der Metallspiralen laut in Bewegung setzt, doch dann passiert, was passieren muss: Der Schokoriegel bleibt auf den letzten Zentimetern hängen.
    »Verflucht!«, zischt der Mann und holt mit der Faust aus, atmet dann aber nur tief durch, anstatt auf den Automaten einzuschlagen. »Du verdammtes Sch…« Schnaufend verschluckt er den Rest der Beleidigung und stemmt sich dann mehrmals mit Anlauf gegen das mannshohe Gerät, bis der Schokoriegel klappernd in der Auslage landet und der Mann damit schimpfend im Korridor verschwindet.
    »Thomas zieht einfach zu viel Speed«, kommentiert meine Nachbarin den Auftritt leise und kaut laut ihren Kaugummi weiter. »Ich kenn den Laden schon. Mach die Scheiße hier zum zweiten Mal mit. Hab zu oft Mist gebaut«, meint sie schließlich und stellt sich mir dann als Nina vor, die schon seit zwei Jahren hier arbeitet, aber beim Telefonieren so viele Fehler gemacht hat, dass sie in dieser Schulung noch mal beweisen muss, die hohen Qualitätsstandards des Instituts einhalten zu können. »Als hättste die Pappe verloren und musst ’se noch mal machen«, erklärt sie mir.
    »Herzlich willkommen beim Institut für Markt- und Meinungsforschung, kurz: Imameifo«, unterbricht uns der Mann im Nylonhemd plötzlich, der unbemerkt wieder den Raum betreten hat, und wischt sich die Schokoladenreste aus den Mundwinkeln. »Ich bin Thomas«, fährt er fort und wippt dabei vor und zurück, als würde von irgendwoher Technomusik erklingen, »und ich leite die heutige Schulung. Kommen Sie bitte mit!«
    Wie ein Schwarm Entenküken folgen wir ihm durch einen dunklen Korridor und landen in einem riesigen Raum mit langen Tischreihen und unzähligen

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