Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
Frau.
Als die beiden weg sind sind, atmet Dieter schwer durch und entschuldigt sich für seinen Auftritt. »Jetzt muss ich nur noch die Schwimmschule über die potenzielle Maserngefahr informieren«, meint er, trinkt hastig aus und packt seine Sachen zusammen.
Nachdenklich verabreiche ich Klara ihren Mittagsbrei, dann begeben wir uns zum Auto, in dem sie einschläft, noch bevor wir losgefahren sind. Sarah wirft mir den Autoschlüssel zu und lässt sich erschöpft in den Beifahrersitz sinken. Während der Fahrt kommen mir die vergangenen Stunden immer schräger vor.
Sollte es nicht vielleicht doch Bettys und Piets Recht – ja vielleicht sogar ihre Pflicht? – sein, über die ärztliche Behandlung ihrer Tochter selbst zu bestimmen? Das meint doch der Begriff Selbstbestimmung: dass man selbst bestimmt . Aber eben auch nur über sich selbst , nicht über Unbeteiligte. War Dieters sonderbarer Auftritt also gerechtfertigt? Und wie sieht es mit dem Einsatz von homöopathischen Mitteln aus, wenn diese statt Medikamenten mit nachgewiesener Wirksamkeit gegeben werden? Könnte – oder müsste? – ein Richter im Falle des Folgeschadens einer Krankheit, die sich beispielsweise mit Antibiotika hätte leicht behandeln lassen können, vielleicht sogar von unterlassener Hilfeleistung sprechen?
In diesem Zusammenhang bin ich mal wieder froh, mit Klara bei einem Kinderarzt gelandet zu sein, der seine Praxis vor fünfundzwanzig Jahren von seinem Vater übernommen hat und auf Grundlage dieses Erfahrungsschatzes die stoische Ruhe eines Felsens in der Brandung ausstrahlt. Er war derjenige, der uns von Anfang an geraten hat, uns nicht von Freunden, Bekannten und Verwandten verrückt machen zu lassen. »Entgegen allen Befürchtungen«, hat er uns bei unserem ersten Besuch grinsend erklärt, »werden sie alle groß. Lasst euch nix von den aufgescheuchten Weleda-Muttis erzählen: Ihr kennt euer Kind am besten.«
Dann gab er uns seine Handynummer, auf der wir ihn bis heute jederzeit anrufen können, und genau dies ist – neben dem bewussten Einsatz von wirksamen Medikamenten in Maßen – vielleicht das Geheimnis erfolgreicher Ärzte: ihre aufrichtige Zuwendung zum Patienten.
Zu Hause angekommen, lässt sich Klara schlafend bis ins Bettchen tragen, und auch ihre Mutter nutzt die Gunst der Stunde, um ein bisschen Energie zu tanken. Ich dagegen schleiche mich ins Wohnzimmer und klappe den Laptop auf. Bei meiner Recherche nach Impfgegnern, Wirksamkeitsstudien zu homöopathischen Mitteln, nach sogenannter Komplementär-, Alternativ- oder Traditionell Chinesischer Medizin stoße ich zwar auf extrem gegensätzliche Aussagen, lerne aber auch, dass es – wie bei der Religion – anscheinend zwei verschiedene Lager gibt: die einen, die ihre Behauptungen in allen möglichen und unmöglichen Varianten wiederholen, und die anderen, die genau diese Behauptungen systematisch auf Herz und Nieren überprüfen.
Am besten gefällt mir die Aktion eines englischen Skeptikerverbands, dessen Mitglieder sich vor laufenden Kameras der anwesenden Presse homöopathische Mittelchen in angeblich tödlicher Dosis verabreicht haben. Obwohl natürlich alle von ihnen überlebt haben, so der Bericht, würde das britische Gesundheitssystem noch immer mehrere Milliarden Pfund in die Produktion und Verschreibung von Globuli fließen lassen – geändert hat sich trotz des handfesten Beweises der Unwirksamkeit homöopathischer Mittel also nichts. Vielleicht sollte ich das bei Gelegenheit mal dem Dieter erzählen.
Bevor Klara wieder wach wird, checke ich noch schnell meine Mails, und siehe da: Michael Schmidt-Salomon, der Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, welche die atheistische Buswerbekampagne einst unterstützt hat, hat schon geantwortet. Die Spannung steigt, als ich die Mail öffne, doch schnell entdecke ich das Wörtchen leider . So freundlich, wie ich Michael in Erinnerung habe, schreibt er mir, dass die Stiftung über keine Kapazitäten für Festanstellungen verfüge, verspricht mir aber dennoch, die Augen offen zu halten. Außerdem gebe es immer mal wieder kleinere Aufträge im Nordosten der Republik, bei denen ich ihn vertreten und ihm so die lange Reise aus Trier ersparen könne. Das ist doch ein Anfang …
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GEILE NUMMER
D er Mensch, so sagt man ja, ist ein Gewohnheitstier. Noch bis vor einigen Wochen wurde ich jeden Tag pünktlich um 6:44 Uhr wach und schaltete den Wecker eine Minute vor dem eigentlichen Alarm aus, um rechtzeitig zum
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