Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)

Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)

Titel: Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Möller
Vom Netzwerk:
oder beim Aussteigen den Blick in den Außenspiegel vergessen, komme ich ohne erwähnenswerte Zwischenfälle bei der Arbeit an. Zwischen den Telefoninterviews widme ich mich den Fragen an Charlotte Roche und schaue alle zehn Minuten auf die Uhr. Bei einer Kaffeepause treffe ich Nina wieder, die ich seit dem Abend im Berghain nicht mehr gesehen habe. Mit gesenktem Kopf entschuldigt sie sich für alles, zeigt mir die kleine Narbe an der Augenbraue und spendiert mir als Dank für den Job als ihr Tripsitter einen Becher frischen Automatenkaffee. Als ich ihr von meinem späteren Termin erzähle, verschluckt sie sich fast an der Plörre und reißt dann ihre geschminkten Augen weit auf. »Die Frau ist doch voll freaky, oder?«
    »Kann schon sein«, antworte ich und schaue Nina von der Seite an. »Aber ich mag Freaks.«

    Um 14:57 Uhr beende ich meine Schicht. Ohne mich bei irgendwem zu verabschieden, hetze ich aus dem Studio, schließe im Treppenhaus meine Jacke und trete auf die Straße. »Na klar!«, denke ich laut und halte die offenen Handflächen in den Nieselregen. Aber es hilft nichts, auf geht’s zur zweiten Etappe: vom Ku’damm zum Gendarmenmarkt.
    In der Nähe des Elefantentors, dem westlichen Eingang des Zoologischen Gartens, versperrt mir ein Exemplar des gemeinen Schleichradlers den Weg. Wegen einer Schulklasse, die neben ihm den gesamten Bürgersteig für sich beansprucht, kann ich ihn nicht überholen, dafür aber einen Moment lang beobachten. Mit den Hacken auf den Pedalen und nach außen abgespreizten Füßen und Knien bewegt der Herr sein Citybike so langsam voran, dass die Fliehkräfte gerade mal ausreichen, um ihn nicht umkippen zu lassen. Genervt betätige ich meine Fahrradklingel, doch die wird ignoriert.
    »Entschuldigung«, rufe ich nach vorne, »darf ich vorbei?«
    Fast beneidenswert, wie gut manche Menschen ihre komplette Umwelt ausblenden können. Bei meiner nächsten und etwas lauteren Verbalattacke kommt er plötzlich ins Schlingern und bringt seinen Aluminiumesel nur mühevoll wieder unter Kontrolle, bevor er mich vorbeilässt. An seinem Lenkrad entdecke ich neben einem Radio, einer großen Hupe und einer Halterung für seine Bierflasche auch zwei Rückspiegel.
    Nach der Ampel am Lützowplatz im Süden des Tiergartens gebe ich Vollgas und überhole dabei eine Frau, die nichts von der Existenz ihrer Gangschaltung zu wissen scheint. Mit einer Trittfrequenz von schätzungsweise 200 Umdrehungen pro Minute kommt sie kaum schneller als der Schleicher voran. Ob ich ihr schnell erklären …? Nein. Für ungefragte pädagogische Dienstleistungen ist nun wirklich keine Zeit.
    In Höchstgeschwindigkeit rase ich in Richtung Norden auf Berlins berühmtesten Kreisverkehr und beliebtesten Unfallschwerpunkt, den großen Stern, zu. Weil ich glücklicherweise schon die erste Ausfahrt Richtung Brandenburger Tor nehmen muss, bin ich auf keine Ampel angewiesen und kann mich dann auf der Straße des 17. Juni zwischen rücksichtslosen Regenschirmtouristen, Rikschafahrern und riesigen Reisegruppen bis zum Brandenburger Tor durchschlagen. Kurz vor dem Monument der einstigen Teilung meiner Heimat latscht mir eine junge Touristin so knapp vors Fahrrad, dass ich eine Kollision mit der gut gepolsterten Frau nur durch eine scharfe Vollbremsung verhindern kann.
    »Oh my God«, bringt sie aufgelöst hervor, »I’m so sorry! I’m from the States and …«
    Ja ja, in den USA gibt’s keine Radwege – und keine Fahrräder. Schon klar. Vor dem Brandenburger Tor kommt neben mir ein Mitglied der Königsklasse deutscher Radelfreaks zum Stehen: ein Fahrradkurier. Sein Lenker ist keinen Zentimeter breiter als die zwei Griffe für seine Hände, und auch der Rest seines Bikes ist von jedem überflüssigen Bauteil befreit: keine Gangschaltung, keine Schutzbleche – nicht einmal Bremsen befinden sich an dem dünnen Rahmen mit den schmalen Reifen. Zum Stehen kommen die Typen ausschließlich mit Hilfe des Rücktritts. Der Regen tropft vom Schirm seiner Mütze, während er in das Funkgerät spricht, das neben seinem Mund am Gurt der wasserdichten Tasche befestigt ist. Als sich auf der Kreuzung eine kleine Lücke im Verkehr auftut, treten wir gleichzeitig in die Pedale und durchfahren dann gemeinsam die Säulen der Quadriga. Im Zickzackkurs kämpfen wir uns auf gleicher Höhe durch die Touristenmassen, doch schon als wir die Amerikanische Botschaft rechter Hand hinter uns lassen, befinde ich mich in seinem Windschatten. Auf der geraden

Weitere Kostenlose Bücher