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Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)

Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)

Titel: Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Möller
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der Annahme, Sarahs Oma oder meine Mutter würden sich melden, die Einzigen, die noch diese Nummer verwenden. Auf dem Display entdecke ich aber eine Nummer, die mir gar nichts sagt.
    »Guten Tag, Philipp Möller hier.«
    Stille.
    »Hallo?«, frage ich streng nach. »Ist da jemand?«
    »Oh, ja, äh, ich bin’s!« Eine Männerstimme lacht laut in den Hörer. »Ich dachte, du wärst ein Anrufbeantworter!«
    Schon wieder? Seitdem ich in diesem verdammten Callcenter arbeite, passiert mir das ständig! Neulich hat mich nicht einmal meine Mutter erkannt, die sich konsequent weigert, auf das Display ihres Mobilapparats zu schauen, wenn jemand anruft.
    »Wer ist denn ›ich‹?«, frage ich leicht irritiert.
    »Michael!«
    »Äh … okay?«
    »Schmidt-Salomon, von der Giordano-Bruno-Stiftung!«, ergänzt er.
    »Ach, Michael, sorry! Ich hab, also, ich meine …«
    Dankenswerterweise erlöst er mich von dem peinlichen Gestammel, in das ich vor Aufregung über seinen Anruf verfalle. Hat er vielleicht einen Job für mich?
    »Sag mal, hättest du heute Zeit, um für unseren Pressedienst ein Interview zu führen? Unser Redakteur ist nämlich krank geworden, und Charlotte Roche ist nur heute …«
    »Die Frau mit den Feuchtgebieten? «, unterbreche ich ihn hastig. »Klar hab ich Zeit!«
    Leider entspricht das nur der halben Wahrheit, denn ein Blick in meinen Kalender verrät, dass ich die heutige Telefonschicht von 10 bis 15 Uhr belege. Um halb vier müsste ich in einem Hotel im Prenzlauer Berg sein, erklärt mir Michael, und dort könnte ich bis vier das Interview aufzeichnen. Knappe Kiste.
    »Schaffst du das?«, will er wissen. »Wär echt super, vielleicht kannst du dann ja auch öfter mal einen Podcast aufnehmen …«
    »Klar, locker«, behaupte ich in möglichst entspanntem Tonfall, denn das ist die Chance! Wie lange wünsche ich mir schon, endlich mal was Cooles zu machen – »was mit Medien«, sozusagen. Und wie super das wäre, statt telefonischen Befragungen zum Waschmittelverbrauch mit einer Persönlichkeit wie Charlotte Roche von Angesicht zu Angesicht über ihre Weltanschauung zu sprechen! Schlagartig bin ich so aufgeregt, dass ich mich zum inflationären Gebrauch mentaler Ausrufezeichen hinreißen lasse! Mit dem Telefon am Ohr laufe ich wie ein aufgescheuchtes Huhn durchs Wohnzimmer und nehme meine Anweisungen von Michael entgegen: die Fragen ausdrucken, die mir gleich per Mail geschickt werden, gut durchlesen, nach meinem Callcenterjob in der Redaktion vorbeischauen, um das Diktiergerät abzuholen, zwischen halb vier und vier das Interview führen und die MP 3-Datei am Abend auf den Server der Stiftung hochladen. Nickend notiere ich mir alles und bedanke mich mehrmals, bevor ich das Gespräch beende.
    »Musst du hier am frühen Morgen schon so rumbrüllen?«, fragt Sarah, als sie den Raum betritt. Auf ihrem Arm trägt sie Klara, die noch im Schlafsack steckt und sich ihre kleinen Augen reibt. Mit zerzausten Haaren verfolgen die beiden meinen hastigen Bericht über das Telefonat und den entsprechend modifizierten Tagesplan. Weil ich mir heute keine Verspätungen erlauben kann, muss ich auf ein Fortbewegungsmittel zurückgreifen, das als einziges in der Lage ist, die Dauerbaustelle Berlin in der vorgegebenen Zeit zu durchqueren: das Fahrrad.
    Sarah hört mir beim Schmieden meines wahnwitzigen Plans aufmerksam zu, dann schüttelt sie den Kopf: »In dreißig Minuten vom Ku’damm bis nach Prenzlberg? Mit Zwischenstopp am Gendarmenmarkt? Das wird nichts!«
    »Ja, das wird sportlich«, räume ich ein.
    Bei diesem Kommentar zieht Sarah eine Augenbraue hoch und pikst mir mit dem Finger in den Bauch: »Sportlich? Das trifft auf dich im Moment aber weniger zu.«
    Wie bitte? Das wollen wir doch mal sehen, außerdem habe ich keine andere Wahl – das Interview muss klappen!
    Bevor ich mein etwas aus der Mode gekommenes Mountainbike besteige, kremple ich standesgemäß das rechte Hosenbein hoch, ziehe den Reißverschluss der wind- und wasserfesten Outdoorjacke bis zum Kinn hoch und zurre die Kapuze fest. So sollte ich gegen die herbstliche Kälte gewappnet sein, auch wenn ich vermutlich wie ein Idiot aussehe. Aber was macht das schon, wenn man Charlotte Roche interviewen darf?
    Die Distanz der ersten Etappe ist zwar überschaubar, führt mich aber mitten in der morgendlichen Rushhour durch die City-West bis zum Ku’damm. Abgesehen von den üblichen Standardsituationen, in denen Autofahrer beim Rechtsabbiegen den Schulterblick

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