Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
sorglos-naiven Eltern herzustellen. Vielleicht ist das ja Teil des Generationenvertrags, den wir alle unbewusst unterschreiben: Erst schützen die Eltern die Kinder, später die Kinder die Eltern. Vor Handelsvertretern jeder Couleur und manchmal auch vor sich selbst.
Nach einigen kritischen Fragen zu den monatlichen Kosten für den Anschluss, den Mindestvertragslaufzeiten und den Vorteilen gegenüber anderen Anbietern verabschieden Herr Graufuß und ich uns von dem enttäuschten jungen Mann. Diesmal laufe ich lieber hinter meinem Vermieter her, denn Vertrauen ist gut, aber Kontrolle eben besser.
Während wir gemeinsam die Abteilung für analoges TV und Digitales Fernsehen suchen, frage ich mich, welche der drei beteiligten Parteien wohl normalerweise als Gewinner aus solch fadenscheinigen Geschäften hervorgeht.
Ist es A: der Verkäufer, der als Leiharbeiter keinen festen Stundenlohn erhält, sondern für den Abschluss des Vertrags einen Bruchteil der Gesamtsumme als Provision kassiert?
Ist es vielleicht B: der Kunde, der bis zum Verkaufsgespräch gar nicht wusste, dass er die überteuerte Dienstleistung unbedingt braucht und natürlich vergisst, den Vertrag fristgerecht zu kündigen, woraufhin sich dieser um ein weiteres Jahr verlängert?
Oder ist es C: der Konzern, der sich am Jahresende entweder über fette Gewinne freut oder einfach keine Leiharbeiter mehr einkauft, wenn das Gewinnwachstum gefährdet ist?
Eins, zwei oder drei, letzte Chance – vorbei: Wenn einem dann das Licht ausgeht, sieht man, wo das Konto steht. Seitdem ich vorrangig technische Geräte kaufe, die optisch mit angebissenen Früchten aufgehübscht wurden, spreche ich übrigens aus Erfahrung. Immerhin zahle ich hier hauptsächlich das Design.
Als meine lückenhafte Kapitalismuskritik abgespult ist, habe ich endlich einen Blick für meine Umgebung. Zwischen meterlangen Regalen mit Elektronikkleinteilen herrscht in dieser Abteilung eine auffallend angenehme Stille, von der man als Besucher gängiger Elektroniktempel nur träumen kann – wenn man dort zwischen knallbunten Werbeanzeigen, hypnotisierten Kindern an Spielkonsolen und Null-Prozent-Finanzierungsverlockungen überhaupt noch zum Träumen kommt. Hier, im leicht verstaubten Technikmarkt, der schätzungsweise in den frühen Neunzigern gestaltet wurde, hört man einzig die Gespräche der zahlreichen älteren Herren, die sich leise mit eingeschweißten Produkten unterhalten. Die meisten von ihnen ähneln meinem Vermieter in mehreren Punkten: Entweder haben sie unter ihren Hochwasserhosen die gute alte Sandalen-Socken-Kombi an oder einen Blouson in gedeckten Farben übergeschmissen. Manche von ihnen tragen ihr Handy in einer transparenten Plastiktasche am Gürtel, andere ein Taschenmesser oder gar ein Maßband – falls mal was auszumessen ist. Viele fallen durch lichtes Haar auf, noch mehr durch Schnurrbärte. Herr Graufuß jedoch scheint alle Accessoires für sein Outfit im Set gekauft zu haben. Je länger ich mich umschaue, desto deutlicher zeigt sich, dass ich mich hier in Begleitung eines echten Prachtexemplars befinde. Unter all diesen Herren wirkt er wie eine perfekte Kombination aus ihnen – was einige sogar zu bemerken scheinen und neidvolle Blicke auf seinen Schnurrbart oder die zu kurze Jeans werfen. Klar: Hier, in seiner natürlichen Umgebung, geht von Herrn Graufuß sogar eine gewisse Schönheit aus. Als Spießermodel scheint er in dieser Welt aus Türklingeln, Telefonanlagen und Taschenlampen beheimatet zu sein und fühlt sich entsprechend wohl. Flott geht er auf einen der Verkäufer zu, spricht ihn laut und selbstbewusst an und führt mich kurz darauf zu der Wand mit Adaptern. Volle Wände kennt Herr Graufuß ja aus seinem Wohnzimmer, also versichert er sich bei mir kurz nach der Bezeichnung des Adapters und hat ihn nach wenigen Augenblicken in der Hand.
» HDMI zu RGB , richtig?«
»Richtig.« Mehr fällt mir dazu nicht ein. Ich bin, gelinde gesagt, sprachlos. Manchmal stehe ich nämlich zu Hause im Bad und suche die Zahnpasta. Dabei gibt es in meinem Kopf offenbar eine ziemlich feste Schablone, und schon bei der kleinsten Abweichung von meinen Suchkriterien muss ich Sarah zu Hilfe holen. Ein abgeschraubter Deckel, eine neue, andersfarbige Zahnpastatube oder Sarahs gigantische Haarbürste vor dem gesuchten Objekt reichen schon aus, um mich scheitern zu lassen. Als Faustregel habe ich mir gemerkt: Je näher ich mich an dem von mir gesuchten Gegenstand befinde, desto
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