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Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)

Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)

Titel: Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Möller
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befreie ich meine Hände in der Gästetoilette bestmöglich von den Ölresten der Fahrradkette und meine Jacke vom herbstlichen Laub und atme oben angekommen vor der Tür zum Konferenzraum noch einmal tief durch. Dann klopfe ich und werde hineingebeten.
    »Ah, der Autist«, freut sich die schlanke Frau mit dem frechen Blick, korrigiert sich dann aber schnell: »Atheist, mein ich natürlich! Ich bin Charlotte Roche, hallo.«
    Mit einem schiefen Lächeln strecke ich ihr meine Hand entgegen und hinke auf sie zu.
    »Alles in Ordnung?«
    »Kleiner Fahrradcrash, nichts Ernstes«, fasse ich meinen Sturz zusammen und versuche dann, mich auf die Arbeit zu konzentrieren.
    Erfreulich, dass sie in natura genau so wirkt, wie ich sie mir vorgestellt habe: supernett und aufgeschlossen, außerdem erwartungsgemäß professionell. Ich erinnere mich noch gut an ihr Buch, diesen außergewöhnlichen, stellenweise zwar sehr verstörenden, aber doch stets unterhaltsamen und vor allem sehr emanzipierten Text. Wie viele mögen ihr dafür die Pest an den Hals gewünscht haben, weibliche Genitalien, deren Ausflüsse und Stimulation derart explizit beschrieben zu haben? Noch höher dürfte aber die Anzahl der Frauen und Mädchen gewesen sein, für die unterhalb der eigenen Gürtellinie ein dunkles verbotenes Land lag, in das Charlotte mit ihrem Werk aufklärendes Licht gebracht hat.
    Mit ausgestreckter Hand weist die ehemalige Viva-Moderatorin auf den ovalen Tisch in der Mitte des Raumes. »Darf ich dir einen Platz anbieten?«, fragt sie und fährt mit einer nicht zu überhörenden Spitzzüngigkeit fort: »An diesem vaginaförmigen Möbelstück?«
    Richtig: Mein heutiger Termin könnte auch den Titel »Interview mit einem Freak« tragen – sehr gut, denn ehrlich gesagt habe ich mich beim Anblick des Tisches auch schon gefragt, ob er vielleicht von einem Designer mit einem etwas erotisierten Sinn für Ästhetik entworfen wurde.
    Wir lassen uns einander gegenüber auf den gepolsterten Hotelstühlen nieder. Schnell nimmt meine Interviewpartnerin die Zügel des Gesprächs in die Hand und befragt mich erst einmal zu der Stiftung, in deren Namen ich hier auftauche. »Ich bin ja sozusagen 120-prozentige Atheistin«, erklärt sie mir kurz darauf. »Ich würde niemals eine Kirche betreten!«
    »Und genau darüber würde ich gern mit dir sprechen. Kann ich den Rekorder anschalten?«
    »Klar!«
    Was hatte der Mann von der Redaktion doch gleich über den Umgang mit dem Ding gesagt? Den roten Knopf zweimal drücken, den Rekorder zwischen mir und meinem Gesprächspartner aufstellen und loslegen – oder war da noch etwas? Ich weiß es nicht mehr, aber mein Hirn wurde bei dem kleinen Unfall auch ganz schön durchgeschüttelt. Jedenfalls platziere ich das Gerät auf dem Tisch und lese dann mit leicht zitternder Stimme meine Einleitung vor: »Liebe Hörerinnen und Hörer, herzlich willkommen zum Podcast des humanistischen Pressedienstes. Ich bin Charlotte Roche und …«
    Mist, aber zum Glück lacht mein Gegenüber und fragt, ob ich zu viel Loriot geschaut hätte. Ich nicke und fange noch einmal an. Zwei weitere Anläufe später sitzt das Intro, und wir können endlich mit dem Interview beginnen. Im Gegensatz zu mir ist Charlotte mit solchen Situationen sehr vertraut, sodass trotz meiner etwas holprigen Art schon bald ein lebhaftes Gespräch entsteht. Wir reden über ihre Abneigung gegenüber der Kirche und deren Verflechtung mit dem Staat, über den wahnsinnigen Erfolg ihres Buches und über industriell hergestelltes Essen. Mit einem Blick auf ihre Armbanduhr gibt sie mir zu verstehen, dass sich der Termin dem Ende zuneigt, also formuliere ich ein Schlusswort und bedanke mich bei ihr für das Interview.
    »Und Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer: vielen Dank fürs Zuhören und bis bald zum nächsten Podcast des humanistischen Pressedienstes.«
    Ein Stein fällt mir vom Herzen, als ich wieder den roten Knopf drücke und das Interview damit sicher im Kasten habe.
    Unterwegs zu meinem kaputten Fahrrad komme ich wegen des schmerzenden Knöchels nur langsam voran, also krame ich das Diktiergerät aus dem Rucksack und schließe meine Kopfhörer an. Mal sehen, wie das Interview klingt! Mit den weißen Stöpseln im Ohr drücke ich die Playtaste und warte grinsend auf meinen versemmelten Einstieg – doch auch nach mehreren Sekunden ist außer einem Rauschen nichts zu hören. Verwundert inspiziere ich das Gerät von allen Seiten und überprüfe das Display, auf dem

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