Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
die Zeit längst läuft.
Warum kommt da nichts?!
Mein Gang verlangsamt sich, bis ich mit pochendem Herzen stehen bleibe und ein kleines Rädchen am Rand entdecke. Dann fällt es mir wieder ein: »Du musst unbedingt das Mikrofon auf die richtige Intensität einstellen«, hatte der Redakteur gesagt, »sonst ist die Aufnahme nicht zu gebrauchen.«
Mir bleibt das Herz fast stehen, als ich die Position des Rädchens sehe, denn sie steht zwischen null und eins – von zehn! Panisch drehe ich die Lautstärke zum Abspielen voll auf, stopfe die Kopfhörer tief in den Gehörgang und nehme erst dann, kaum hörbar, mein Stimme wahr.
»Oh nein. Ich bin so ein Vollidiot!«
Damit ist meine Medienkarriere wohl im Eimer, bevor sie überhaupt angefangen hat.
9
FREAK SEI DANK
Z u Hause angekommen, überspiele ich die Datei auf den Rechner, krame die schweren Studiokopfhörer hervor, die mir mein Gitarrenlehrer vor zehn Jahren geschenkt hat, und reiße die Lautstärke bis zum Anschlag hoch. Konzentriert presse ich die großen Muscheln an meine Ohren und höre ganz genau hin. Keine Chance. Hinter dem lauten Rauschen sind die Stimmen von Charlotte und mir nur so leise zu hören, dass ich auch mit viel Fantasie und gutem Willen kein einziges Wort verstehe. Frustriert pfeffere ich die Kopfhörer auf den Tisch und reibe mir die Augen.
Wann bekommt man schon mal die Chance auf ein solches Interview? Und was mache ich Hornochse? Bin zu blöde, das Mikrofon richtig einzustellen! Es müsste schon ein kleines Wunder geschehen, um den Karren noch aus dem Dreck ziehen zu können – aber Wunder passieren ja bekanntlich nur, wenn kein Skeptiker anwesend ist. Da ich so einer bin, finde ich mich besser gleich mit der Niederlage ab und beichte Michael mein Versagen.
Mit dem Telefonhörer in der Hand lausche ich dem Tuten in der Leitung und lege mir die richtigen Worte meiner Beichte zurecht. Dabei fällt mein Blick auf den Bügel des Kopfhörers, auf dessen Innenseite der einstige Besitzer mit silbernem Edding seinen Namen geschrieben hat. Andy, mein Gitarrenlehrer. Liebe Güte, das war vielleicht ein Freak … Moment mal. Ja, genau! Andy war ein waschechter Audiofreak!
»Michael Schmidt-Salomon, hallo Philipp«, meldet sich der Philosoph, der offensichtlich schon meine Nummer eingespeichert hat. »Und, wie war das Interview?«
»Gut, gut!« Was tust du da, Möller? »War echt super!«, sabbelt mein Mund weiter. »Ich wollte dir nur sagen, dass …«
»Ja?«
»Dass ich es wahrscheinlich erst am ganz späten Abend hochladen kann, weil …«
»Weil?«
Stammelnd schustere ich eine Geschichte über Klara zusammen, die ganz dolle Bauchschmerzen habe und deswegen nicht schlafen könne. Weil das Interview erst morgen veröffentlicht werden solle, sei das überhaupt kein Problem, beruhigt mich Michael – Hauptsache, am nächsten Morgen befinde sich die Tondatei auf dem Server.
Erst morgen? Erstmal muss dein Plan aufgehen, Möller – wer weiß, ob Andy überhaupt noch in Berlin ist? Oder sein Tonstudio noch hat? Und Zeit für mich?
»Ich hab keine Ahnung, von wem du sprichst«, sagt Sarah, als ich sie in meinen Plan einweihe. »Wir sind jetzt seit sechs Jahren zusammen, also hast du ihn wohl mindestens so lange nicht gesehen.«
Stimmt. Hastig greife ich nach meinem Handy und suche seinen Namen. Diese moderne Technik macht’s ja glücklicherweise möglich, dass bei jedem Handywechsel die alten Nummern nicht verloren gehen. Von wegen: Früher war alles besser! Aber ob ich Andy nach so langer Zeit wegen eines solchen Anliegens überhaupt nerven sollte? Na klar! Hier geht es schließlich um meine große Chance, in der Stiftung Fuß zu fassen. Nach endlosem Klingeln erreiche ich jedoch nur seinen Anrufbeantworter. Hastig lege ich auf und überlege. Immerhin stimmt seine Nummer noch.
Als ich die Kopfhörer und meine schwarze E-Gitarre im Wohnzimmer sehe, fällt mir die ganze Geschichte um Andy wieder ein. Sie beginnt im Winter 1992, und als mir das klar wird, komme ich mir ein wenig wie mein Onkel Günther vor, der jede seiner Geschichten erstmal mit einer Jahreszahl beginnt, den roten Faden dann aber meist zwischen all den kleinen und furchtbar unnötigen Details verliert – aber das tut jetzt nichts zur Sache!
Als ich jedenfalls auf der Schwelle zwischen Kindheit und Pubertät ein vorsichtiges Interesse an der Gitarre meiner Mutter entwickelte, kramte mein Vater eine uralte Ausgabe von Peter Bursch’s Gitarrenbuch hervor, blies die
Weitere Kostenlose Bücher