Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
Staubschicht vom Cover und überreichte es mir feierlich. In den folgenden Wochen verbrachte ich jede freie Minute mit der alten Westernklampfe auf dem Schoß und lernte mit Müh und Not ein paar einfache Akkorde. Meine Eltern merkten bald, dass ich dranblieb, und so stieg ich eines Tages mit meinem Vater ins Auto und fuhr nach Kreuzberg, wo er mir einen alten Studienkumpel vorstellen wollte.
»Du wirst staunen«, versprach mein Papa grinsend, als er den beigefarbenen VW Passat in der Nähe des Spreewaldplatzes parkte. »Der Andy, der ist ’n echter Kräck!« Wie immer sprach er englische Worte einfach deutsch aus.
Glasklar erinnere ich mich daran, wie uns der große langhaarige Mann in den schwarz glänzenden Lederhosen die Tür öffnete und herzlich begrüßte. Ich wunderte mich kurz über den süßlichen Tabakgeruch im Flur, doch beim Anblick des Wohnzimmers vergaß ich für einen Moment alles andere und blieb mit offenem Mund stehen.
»Finze cool?«, fragte Andy. »Das’s meine Bude!«
Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus: Unzählige Gitarren, Notenständer und mehrere Keyboards standen in dem kleinen Raum herum. Auf einem riesigen Schreibtisch leuchteten bunte Lichter an einem grauen Kasten mit Hunderten von Knöpfen und Schiebereglern. Dahinter standen zwei Computermonitore nebeneinander, und daneben ein Turm aus verschiedenen Geräten, die ebenfalls wild blinkten. Hinter dem Arbeitsplatz befand sich eine große Glasscheibe, durch die ich ein Schlagzeug sehen konnte.
»Das’s die Aufnahmekabine«, erklärte Andy und tippte an die Scheibe, hinter der in gelblichem Licht ein fensterloser Raum verborgen lag, dessen Wände mit kleinen Pyramiden aus Schaumstoff verkleidet waren.
Dann räumte der Mann mit dem breiten Grinsen und den kleinen Augen einen Stapel Noten von seiner Couch, bot meinem Vater einen Platz darauf an und stellte mir einen Hocker hin. »Und du hast also schon ein paar Griffe gelernt?«, wollte er wissen und schob seine Nickelbrille auf die Nase, woraufhin ich etwas verunsichert nickte.
Mit pochendem Herzen sah ich zu, wie er nach einer seiner E-Gitarren griff, am Rand des Korpus ein Kabel einsteckte und mir das glänzende rote Instrument hinhielt. »Na, dann lass mal hören!«
Ehrfürchtig nahm ich das schwere und vermutlich unbezahlbare Teil in die Hand, positionierte es auf meinem rechten Oberschenkel und schlug die Saiten an. Langsam schob Andy einen der Regler auf seinem Mischpult hoch, woraufhin etwas aus den Boxen drang, das mich noch mehr begeisterte als alles andere in seinem Studio: der leicht verzerrte Klang der Fender Stratocaster, der beliebtesten und meistverkauften E-Gitarre der Welt.
»Geil!« Das war das erste Wort, das ich bei diesem Besuch über die Lippen brachte. »Voll geil!«
Nachdem ich Andy meine bis dahin sehr begrenzten Fähigkeiten demonstriert hatte, verabredeten wir einen wöchentlichen Termin für den Gitarrenunterricht. Dann bat er mich um sein Instrument und entlockte ihm so unglaublich coole Sounds, dass ich meinem Vater auf dem Heimweg unmissverständlich klarmachte, was ich mir zu meinem kommenden dreizehnten Geburtstag wünschte.
Am Morgen des 18. August 1993 fand ich einen Gutschein von einem Instrumentenladen auf meinem Geburtstagstisch und fiel meinen Eltern fast weinend um den Hals. Voller Vorfreude stieg ich am darauffolgenden Donnerstag nach der Schule in die U-Bahn und traf mich mit Andy an der Spichernstraße – Gitarrenshopping statt Gitarrenunterricht, saugut! Nach einem kurzen Fußweg landeten wir schließlich beim Guitarland, dessen Türgriff coolerweise ein Gitarrenhals war. Drinnen angekommen, fühlte ich mich wie im siebten Himmel. Der Geruch von frischem Holz lag in der Luft, an der Wand hingen unzählige E-Gitarren, und unter ihnen waren große Verstärker aufgestellt. Hier und da saßen Typen herum, die aussahen wie Andy, und probierten Gitarren aus oder unterhielten sich mit Verkäufern, die ebenfalls aussahen wie Andy. Mein Lehrer klärte mich zuerst über die verschiedenen Modelle auf, dann spielten wir mehrere Instrumente innerhalb und außerhalb meiner finanziellen Möglichkeiten an. Schließlich verwickelte Andy einen der Verkäufer in ein schier endloses Fachgespräch über Sondermodelle, Röhrenverstärker und Bodeneffektgeräte. Zwar verstand ich damals nur Bahnhof, hörte aber gespannt zu und fragte mich ernsthaft, ob die beiden sich in ihrem Leben jemals mit etwas anderem beschäftigt hatten. Mitten im Gespräch
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