Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
ja?«
»Klar – und von wem hab ich das wohl?«
Sein Rechner kündigt die Fertigstellung meines Interviews an, das nun zwar immer noch etwas rauscht, aber klar und deutlich zu verstehen ist.
»Vielen Dank, lieber Andy«, sage ich, als er mir die fertige CD überreicht.
»Ja, ja, so ist das eben mit uns Nerds. Normalerweise belächeln uns alle, aber wenn’s brennt, sind wir die Einzigen, die eine Lösung parat haben.«
10
IN DER FLEISCHBALL - BUNDESLIGA
M it festen Schritten klopfe ich den Schnee von meinen Schuhen, bevor ich in die U-Bahn einsteige, um zur Weihnachtsfeier meiner alten Lehrerkollegen zu fahren.
Hinter mir betreten zwei Mädels den Wagen und stellen sich mir gegenüber an die Tür. Beide tragen ein Kopftuch, doch alle anderen Merkmale ihres Auftretens torpedieren die gewünschte Wirkung des Schleiers mit Anlauf: Trotz der Kälte trägt die holde Weiblichkeit statt Hosen hautenge Leggins, und weil ihre glänzenden Daunenjacken bereits an der Taille enden und sie ganz offensichtlich den Rock vergessen haben, scheinen sie es mit dem Verhüllen ihrer Reize wohl nicht ganz so ernst zu nehmen. Die Fingernägel sind mit aufwendigen Mustern verziert, die Gesichter dank Schminke fast entstellt, und an den Rändern der Kopftücher baumeln goldene Anhänger mit viel Schnickschnack.
»Herr Schneider, dieser Missgeburt«, beginnt die Größere der beiden in Höchstgeschwindigkeit, »schwöre, er hasst misch!«
»Was, wieso er hasst disch?«, will die Kleinere wissen. »Er’s Opfer, ja? Er soll ma nisch reden, ja?«
»Kumma, letztens, sch’sag so zu ihn, Dings, sch’ab mein Hausaufgaben nisch dabei, dann er sagt so, sch’muss morgen zeigen, ja?«
Ja! Ich nähere mich zweifellos dem Dunstkreis der Ludwig-Feuerbach-Schule, denn wenn alles glattgelaufen ist, beherbergt diese Institution inzwischen auch Oberschüler.
Als die Bahn ruckartig bremst, fallen die Mädels mit den hohen Pfennigabsätzen fast hin und krallen sich im letzten Moment an den Haltestangen fest.
»Oha, wie fährt er?«, pöbelt die Kleinere laut in Richtung Fahrerkabine. »Er soll ma Führerschein machen, ja?«
»Schwöre, wenn’sch auf mein Fresse falle, isch töte ihm, abboh!«, fällt der Größeren der beiden dazu ein. »Komm jetzt, raus!«
Gemeinsam mit mir verlassen sie die Bahn und staksen auf dem Bahnsteig Richtung Schule. Oben angekommen, ziehe ich meine Kapuze über, denn inzwischen werden mir die dicken Schneeflocken, die vom Himmel fallen, von einem kräftigen Wind ins Gesicht geweht.
Auf meinem Weg zum Restaurant frage ich mich, wie weit die Rektorin Frau Juhnke, Alex und die Mitglieder der erweiterten Schulleitung das Projekt Reformschule in den letzten Monaten wohl gebracht haben. Welche Steine konnten sie schon aus dem Weg räumen? Gibt es inzwischen auch genug Platz, um die Oberschüler unterzubringen, ohne den Grundschülern jegliche Fachräume zu nehmen? Nach meiner Arbeit mit den Minimachos und Zwergentussis der ersten bis sechsten Klasse überlege ich, welche Herausforderung es wohl ist, Siebt- bis Zehntklässler des Kalibers der Mädels aus der Bahn zu unterrichten … Wie soll das bloß funktionieren? Geierchen hätte mit denen sicher seinen Spaß, doch nach unserem letzten Gespräch mache ich mir auch über seine Widerstandskraft langsam ernsthafte Gedanken.
Der Schnee knirscht unter meinen Schuhsohlen, als ich mich dem Eingang der Trattoria nähere. Die Scheiben des Restaurants sind beschlagen und mit kitschigen Kunstschnee-Motiven aus der Sprühdose verziert. Als ich die Eingangstür aufziehe, weht mir ein warmer Hefegeruch entgegen, und augenblicklich fange ich an zu schwitzen. Ich schäle mich aus meiner Jacke und stiefele einmal quer durchs Lokal in den hinteren Teil der Gaststätte, wo sich bereits ein Großteil des Kollegiums an einer Tafel eingefunden hat. Die Tische sind in Hufeisenform aufgebaut, was den zweifelhaften Charme eines Klassenzimmers versprüht.
»Hallo allerseits«, rufe ich in die Runde und klopfe dreimal auf den Holztisch. Wie erwartet könnten die Reaktionen auf mein Erscheinen unterschiedlicher nicht sein: Alex, der stellvertretende Schulleiter, steht auf und läuft mit ausgebreiteten Armen auf mich zu. Frau Dremel, die zu Beginn meiner Karriere für meine dreiminütige Ausbildung zum Mathelehrer verantwortlich war, nickt mir zu, widmet sich dann aber wieder dem Gespräch ihrer Sitznachbarn – selbst wenn sie offenbar nur stille Teilhaberin ist. Geführt wird die rege
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