Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
Unterhaltung nämlich ausschließlich von Frau Renner, die Geierchen gern als Waffe gegen die Schulleitung einsetzt, und besteht aus dem kommunikativen Element, das sie am besten beherrscht: meckern. Als Opfer hat sie sich dafür den furchtbar freundlichen, aber wenig bestimmten Herrn Schmitz ausgesucht, der lächelnd neben ihr sitzt und eifrig nickt. Als er mich erblickt, reißt er beide Augenbrauen in die Höhe, steht auf und entflieht so dem keifenden Monolog seiner Kollegin. Frau Dremel, die links von Herrn Schmitz sitzt, wird im Nullkommanix zum Ersatzgesprächspartner, denn Frau Renner scheint es wenig zu interessieren, wem sie gerade ein Ohr abkaut.
»Hey Philipp«, begrüßt mich Herr Schmitz und schüttelt mir viel zu lange die Hand. Dabei fällt mir sein Gürtel auf, an dem so viele Ledertaschen befestigt sind, dass ich mich frage, ob er sich um den Posten als Nachfolger von MacGyver bewerben möchte.
Plötzlich dringt eine hohe Stimme von der Seite an mein Ohr: »Wer hat dich denn eingeladen?«
Die Hände in die Hüften gestemmt, steht die Personalrätin neben mir und schaut mich mit vorgeschobenem Unterkiefer an. Erstmalig fällt mir auf, dass sie dieselbe Frisur trägt wie eine ARD -Korrespondentin der späten Achtziger, Gabriele Krone-Schmalz: raspelkurze Haare, die in der Mitte der Stirn zu einer Spitze zulaufen und das Gesicht so herzförmig einrahmen.
» Wir haben ihn eingeladen«, nimmt mich Chrissi etwas zickig in Schutz, »die erweiterte Schulleitung!« Dann umarmt sie mich. »Schön, dass du da bist«, sagt sie und führt mich zu einem Sitzplatz, den sie neben sich frei gehalten hat. Und gegenüber sitzt ja auch mein Liebling.
»Herr Müller, du Knallkopp!«, begrüßt mich Geierchen und ordert beim Kellner ein Bier für mich.
Neben ihm sitzt Frau Herrmann und lächelt mich an. Seit meinem Ausscheiden aus dem Lehrerdienst hat sich stilistisch an ihrem Auftritt nichts geändert: Ihre ungekämmten Haare fallen auf ein Batik-Halstuch, darunter trägt sie einen grobmaschigen Wollpullover. Schon zu meinen Lehrerzeiten fiel sie durch eine konstante Überforderung auf, doch scheinbar hat das nichts daran geändert, dass sie noch immer unterrichten darf. Mit hängenden Schultern und zur Seite geneigtem Kopf grinst sie in ihre Teetasse, während ich mich setze und Rolfs und Chrissis Fragen nach den letzten Monaten beantworte.
»Du arbeitest im Callcenter?«, ruft Geierchen so plötzlich, dass Frau Herrmann zusammenzuckt und dabei fast ihre Tasse umschüttet. »Biste denn bekloppt, Mensch? Dit is doch wieder nur so ’n Aushilfsjob!«
Der Kellner rettet mich aus dieser etwas beklemmenden Situation, indem er mir mein Weizenbier reicht und um die Bestellung bittet. Rolf ordert den Gänsebraten mit Rotkohl und Klößen, der hier in der Vorweihnachtszeit angeboten wird, Chrissi einen Salat mit Putenbrust, Alex entscheidet sich für die Lasagne, ich wähle eine Pizza Salami, und Frau Juhnke hätte gerne die Dorade alla casa.
»Und für Sie?«
Erwartungsvoll starren wir Frau Herrmann an, die erst jetzt zu bemerken scheint, dass sie sich in einem Restaurant befindet. »Oh, ich, also, ich hätte gerne den Salat …«
»Auch mit Pute?«, fragt der Kellner, woraufhin Frau Herrmann die Mundwinkel fast bis zum Kinn verzieht.
»Auf keinen Fall!«
Auf seine Frage nach dem Dressing erkundigt sie sich, ob die Vinaigrette auch ohne Honig sei, und lässt den Schafskäse durch Avocado ersetzen.
»Die Nudeln, die Sie hier verwenden«, will sie dann wissen, »sind die aus reinem Hartweizengrieß oder mit Ei?«
Geierchen verdreht die Augen, der Kellner versichert, dass die Teigwaren hier nach bester italienischer Tradition ohne Ei hergestellt werden. Aber Frau Herrmann ist skeptisch, also erklärt sie ihm, sie hätte gerne eine Portion Spaghetti napoli, aber statt der Nudeln Reis und die Tomatensoße bitte unbedingt ohne Milch und Sahne. Also eigentlich Risotto napoli.
»Und bitte keinen Käse, weder obendrüber noch darin, ja?«
»Biste allergisch, oda wat?«, will Geierchen wissen, als der Kellner sich verkrümelt hat.
»Nein, ich ernähre mich vegan«, antwortet sie und widmet sich dann wieder ihrem Tee.
Na klar: wenn schon, denn schon! Es ist manchmal erstaunlich, wie zuverlässig manche Menschen Vorurteile erfüllen. Allein Frau Herrmanns Outfit wirkt wie das Trikot einer Mannschaft, die in der ersten Freak-Liga spielt: Ihre Haare wäscht sie vermutlich mit ökologisch abbaubarer Kernseife, und das auch
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