Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
könnten. »Stattdessen kommt morgens, mittags und abends Fleisch auf unsere Teller.«
Die letzten Minuten brechen an, das Spiel geht in die finale Phase, in der die Folgen der Produktion tierischer Lebensmittel besprochen werden. Schweinerei United kennt seine Schwächen und versucht nur halbherzig, den Gegner aufzuhalten: 15 000 Liter Wasser für die Produktion eines Kilogramms Rindfleisch? 35 Fußballfelder Regenwaldfläche, die pro Minute abgeholzt werden, um neuen Platz für Weiden und Futtermittelanbau zu erschließen? Massive Grundwasserverschmutzung durch tonnenweise Fäkalien, versetzt mit Medikamentenrückständen aus der Massentierhaltung? Die Gegner nicken und schauen betreten auf ihre Teller.
Dann hält Frau Herrmann das Besteck nach oben. »Das hier sind die besten Instrumente für aktiven Umweltschutz!«
Was für ein Spiel, meine Damen und Herren, was für ein Spiel! Spätestens als Frau Herrmann Zahlen auspackt, die der Fleischproduktion das siebenfache Maß der Umweltverschmutzung aller Transportmittel auf der Welt attestieren, signalisiert Alex dem Trainer von Schweinerei United, ausgewechselt werden zu wollen.
»Jede einzige Fleischmahlzeit«, zimmert Frau Herrmann der gegnerischen Mannschaft in einem unkonzentrierten Moment das 4:1 ins Tor, »belastet die Umwelt so sehr wie sieben Tage durchschnittliche Autonutzung.«
»Aber ich esse nur Biofleisch«, verteidigt sich der stellvertretende Mannschaftskapitän und schaut dann auf seinen Teller. »Also … zumindest zu Hause.«
»Na gut, Biofleisch belastet die Umwelt etwas weniger«, räumt Frau Herrmann ein, »dann sind es in deinem Fall eben nur drei Tage durchschnittliche Autonutzung.«
Weil die Spieler langsam müde werden, macht Frau Herrmann den Sack endgültig zu. Immer mehr Studien würden zeigen, erklärt sie und schießt damit das 5:1, dass Veganer deutlich seltener übergewichtig sind und entsprechend weniger unter den daraus resultierenden Volkskrankheiten leiden. Bessere Cholesterinwerte, weniger Herzinfarkte, Schlaganfälle und Osteoporose, zählt sie auf. »Also«, fasst sie zusammen, »hat jemand mitgezählt?«
»Nicht ganz«, flunkert der Kommentator sie an, »aber nach Argumenten hast du wohl gewonnen.«
Der Hexenkessel brodelt, meine Damen und Herren, doch was macht das Team von Schweinerei United? Obwohl sie als Favoriten aufs Spielfeld kamen, mussten sie eine herbe Niederlage erleiden, aber nun schnappen sich die Spieler den Pokal und rennen aus dem Stadion. Das nenne ich einen schlechten Verlierer! Unbeeindruckt von dem Ergebnis rammen sie die Messer in die sterblichen Überreste ihrer entfernten Verwandten, spießen sie mit Gabeln auf und kauen genüsslich darauf herum – als hätte die Diskussion nie stattgefunden.
Als Raucher ist mir dieser Mechanismus, den Psychologen kognitive Dissonanz nennen, sehr gut bekannt: Obwohl ich weiß, dass es falsch ist, höre ich nicht damit auf. Der Grund dafür ist schlicht die Gewohnheit, und die lässt sich bekanntlich am schwersten ändern. Aus meiner Begeisterung für Religionskritik weiß ich außerdem, dass emotional besetzte Themen – und das ist der Genuss von Lebensmitteln allemal – auch emotional angegangen werden sollten. Im Falle der Ernährung gilt das natürlich auch für mich. Abgesehen davon, dass ich Frau Herrmann noch nie so in Aktion erlebt habe, esse ich nämlich schon mein Leben lang furchtbar gerne Fleisch. Vor allem bei dem letzten Stück Pizza, das samt köstlichem Käse und pikanter Salami in meinem Mund verschwindet, scheint es mir vollkommen abwegig, aus den sachlich guten Argumenten von Frau Herrmann die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. Was wäre dann nämlich von meiner Pizza noch übrig? Der Boden und die Tomatensoße – na super! Was soll ich zum Frühstück aufs Brot legen, wenn Käse und Wurst aus dem Speiseplan gestrichen werden? Und wie soll ich mir ein Leben ohne Spaghetti bolognese, Cheeseburger oder saftige Steaks vorstellen?
»Was isst du denn überhaupt noch?«, frage ich Frau Herrmann, als die anderen vom Thema anscheinend genug haben und sich wieder gemeinsam über die Schule aufregen. Ach ja: Das wollte ich ja eigentlich auch noch wissen! Aber nach diesem spannenden Fleischballfinale scheint die Vereinsfeier des FC Tofu in meinem Kopf weiterzugehen. Die pointierte Argumentation meiner etwas sonderbaren Ex-Kollegin hat mich nämlich nicht nur mit neuen Informationen versorgt, sondern auch einen gewissen Perspektivwechsel mit sich
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