Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
vorsichtig um Sarahs Schulter und sie ihren um meine Hüfte.
»Tut mir leid, dass ich die ganze Zeit so zickig bin«, sagt sie leise und lehnt ihren Kopf an meine Schulter. »Es ist bloß so …« Außer dem Knarzen unserer Schritte im Schnee ist in Sarahs Sprechpause kein Ton zu hören. »… deine Jobsuche, das anstrengende Studium und in letzter Zeit auch noch der Weihnachtsstress, das ist alles nicht gerade leicht.«
»Das kannst du aber laut sagen«, bestätige ich und schüttele den Kopf. »Das Callcenter und diese dämlichen Bewerbungen gehen mir echt an die Substanz.«
Sarah bleibt stehen und wendet sich mir zu. »Da wird sich schon was finden«, sagt sie dann, stellt sich auf die Zehenspitzen und gibt mir einen sanften Kuss. »Ich glaube jedenfalls an dich! Und solange du dich nicht von Günther anwerben lässt …«
Bevor ich mich wieder aufregen kann, zwinkert sie mir zu, dann spazieren wir schweigend weiter, verlassen das Wohngebiet und betreten einen stockdunklen Weg, der uns in das nahe gelegene Naturschutzgebiet führt. In der Finsternis schmiegt sich Sarah fest an meinen Arm, erst in ein paar Metern Entfernung ist wieder eine Laterne zu sehen. Leise sprechen wir über das vergangene Jahr, erinnern uns an den Sommerurlaub und amüsieren uns über Onkel Günthers Stiefel. Nach ein paar Minuten führt uns der Weg an das Ufer eines kleinen Sees, über dem eine hauchdünne Sichel zwischen den Sternen steht.
»Oh, Neumond«, flüstert Sarah, und wir betreten einen klapprigen Holzsteg, der uns ein paar Schritte aufs Wasser hinausführt. Vorne angekommen, nimmt sie meine Hand und schaut mir in die Augen. »Vielleicht ist das nach Klaras Geburt ja der zweitschönste Moment des Jahres?«
»Ja, das ist er wohl!«, erwidere ich und gehe langsam in die Hocke, um mein rechtes Knie auf dem Boden abzustellen. Dann greife ich nach der Hand meiner Freundin. »Sarah Lichtenstein«, sage ich leise. »Möchtest du meine Frau werden?«
12
FÜHR MICH HINTERS LICHTWESEN
J a!«
»Ehrlich?«
»Ja, ganz ehrlich!«
»Ach, das freut mich ja total für euch!« Theresa ist ganz aus dem Häuschen. »Und wann soll die Hochzeit stattfinden? Und wo? Werde ich eingeladen?«
»Natürlich wirst du eingeladen«, beruhige ich sie, und reibe mir beim Gedanken an die vergangene Silvesternacht den Schädel. Sarah und ich haben Klara bei meiner Mutter und ihrem Mann abgegeben und Nuray und ihren Mann besucht, die eine kleine Silvesterparty veranstalteten. Beim obligatorischen Bleigießen habe ich aus der beiliegenden Interpretationshilfe erfahren, dass mir eine Gehaltserhöhung bevorsteht, und beim Null-Uhr-Böllern auf der Straße wurde ich wieder mal daran erinnert, in der Republik der durchknallten Böllerfreaks zu leben: Ob Vogelschrecks, die mit Pistolen auf Hausfassaden geschossen werden, Raketen, die parallel zum Boden entlangsausen, oder selbst gebaute Goldregenbomben – den Hobbypyromanen ist anscheinend kein Mittel fremd, die bösen Geister des alten Jahres zu verscheuchen.
»Bist du denn gut ins neue Jahr reingerutscht?«, frage ich Theresa.
»Inipi«, antwortet sie prompt.
»Sorry«, sage ich verschlafen, »aber ich sprech immer noch kein Finnisch!«
»Quatsch! Die Inipi-Schwitzhütte ist ein Lakota-Ritual, mit dem ich mich vom alten Jahr verabschiedet habe. Inipi gehört bei den Lakota-Indianern zu den Sieben Riten …«
»Theresa, gib’s zu!« Ein schelmisches Grinsen überfällt mein Gesicht. »Du hast wieder Rooibostee geraucht!«
»Nein – ich hab meditiert. Die ganze Nacht lang. In einer Sauna.«
»Also doch Finnisch?«
»Mann, du bist manchmal so ein Idiot«, sagt sie lachend. »Hat dir das eigentlich schon mal jemand gesagt?«
»Ja, ist schon vorgekommen. Sorry, ehrlich. Jetzt erzähl mir bitte von deinem Silvester.«
Je länger sie von der sechsstündigen Saunasession redet, desto mehr verschlägt es mir die Sprache. Auf der anderen Seite sollte mich bei Theresa eigentlich nichts mehr wundern, denn schon als ich sie in der Uni kennengelernt habe, wurde schnell klar, dass sie nicht so ganz von dieser Welt ist – zumindest spirituell. Im Sommer trug Theresa meist ein paar Blümchen im langen, etwas zotteligen Haar und lümmelte sich in bunten Kleidern häufiger auf den grünen Campuswiesen als in den Hörsälen herum. Zumindest den hauptsächlichen Aufenthaltsort hatten wir also schon mal gemeinsam. In den meisten anderen Bereichen jedoch drifteten unsere Ansichten aufs Leben weit auseinander.
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