Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
dann Theresas Vortrag an.
Unter lautem Applaus betritt sie einen Augenblick später die kleine Bühne, bricht mit ihrem Lächeln ein paar Herzen und streicht sich eine lose Strähne hinters Ohr. »Lange Zeit haben Wissenschaftler geglaubt«, fängt sie an und schaut demonstrativ in meine Richtung, »sie würden alles wissen. Meine Erkenntnisse aber zeigen nun, sehr geehrte Damen und Herren, dass es zwischen Himmel und Erde mehr gibt, als wir mit den Augen sehen können.«
Applaus. Ich schaue mich um, entdecke unter den Klatschenden begeisterte Gesichter und zustimmendes Nicken. Es ist eine absolute Frechheit, wie sympathisch Theresa es schafft, in nur zwei Sätzen alle irrtümlichen Annahmen gegenüber wissenschaftlicher Arbeit zu bestätigen.
Der Applaus flaut ab, Shakti doziert weiter.
»Während meiner quantenmedizinischen Versuche habe ich belegen können, dass die feinstoffliche Energetik des Akasha-Felds lange Zeit unterschätzt wurde.«
Wie bitte? Ich verstehe nur Bahnhof. Theresa fährt fort.
»Das Akasha-Feld – ein kosmisches natürliches Internet – verbindet alles, und das Gedächtnis von allem ist – genau wie ein feinstoffliches ›Buch des Lebens‹ – in immaterieller Form in einem allumfassenden Weltgedächtnis gespeichert: die Akasha-Chronik!«
Mal lächelnd und mal kopfschüttelnd folge ich Shaktis weiteren Ausführungen über ionisierte Plasma-Wirbel, globale Vakuumkompressionswellen und linear-symmetrische Äonenverteilung. Gespickt mit allerlei wundersamen Begriffen erklärt sie nicht nur die angeblichen Ursachen von Kornkreisen und Auraschichten, sondern hat auch eine alternative Erklärung unseres Gehirns parat.
»Unser Quantencomputergehirn stellt das Trägermedium dar, mit dem wir eine primordiale Verbindung zum kosmischen Internet herstellen können: Orgon, der Wirbel im elektromagnetischen Feld.«
Weil sie all ihre Behauptungen nicht mit Argumenten oder Fakten, sondern stattdessen durch eine Präsentation mit bunten Bildchen untermauert, muss ich mehrere Maßnahmen treffen, um nicht laut lachen oder weinen zu müssen: Augen schließen, mit den Fingerspitzen meine Schläfen massieren und immer schön auf die Atmung konzentrieren. Ommm …
Als Shakti die Masterarbeit eines Kommilitonen zitiert, der mithilfe eines sogenannten Kozyrev-Spiegels angeblich Kontakt zu Verstorbenen und Außerirdischen nachweisen konnte, rutscht mir der erste kleine Grunzer heraus. Das Schlimme daran: Um mich herum scheint Theresa von jedem ernst genommen zu werden. Der Mann neben mir hält mit der linken Hand sein Kinn fest, nickt dabei und macht sich mit der rechten Notizen, wobei er ein paar Begriffe fett unterstreicht oder mit diversen Satzzeichen versieht: Skalarwellen!!, Quantenexperiment, (Außer)irdische?, US -Regierung, Raum-Zeit-Kontinuum.
Mit jedem Wort, das ich bei ihm lese, hebt und senkt sich meine Bauchdecke ein bisschen mehr, was der Mann zum Glück aber nicht bemerkt. Wenn das hier so weitergeht, erleide ich gleich einen Zwerchfellkrampf! Von der anderen Seite schaut Flo mich an und hält seinen Zeigefinger vor die Lippen: »Ruhe bitte!«
»Sorry. Tut mir leid«, flüstere ich und halte mir kurz Mund und Nase zu. Jetzt atmen, Möller, einfach tief ein- und ausatmen!
Nun geht Theresa zum nächsten Thema über: der Fotografie von Lichtwesen, die von einer Frau mit dem abenteuerlichen Namen Aurora Popow-Orlow entwickelt wurde. Sie ist Chakra- und Karma-Meisterin und hat angeblich Philosophie an der Universität Helsinki studiert – wobei es mich nicht wundern würde, wenn sie dort bloß mal für ein Semester eingeschrieben war. Als Kind, erklärt uns Shakti, erlebte die gebürtige Russin ihren Tag der Erleuchtung, und weil einige Menschen ja immer Beweise bräuchten, würde sie uns das Foto von diesem Moment gerne zeigen.
Bitte, Theresa, tu das nicht! Mit dem Finger auf dem Touchpad ruft sie den Internetbrowser auf, in dem die Homepage der Dame bereits geöffnet ist. Neben den Symbolen für die Chakren, die allesamt mit indischen Bezeichnungen versehen sind, ist ein handgemalter Astralkörper im Schneidersitz zu sehen, auf dessen Kopf das Gesicht einer älteren Dame gephotoshopt wurde. Theresa scrollt nach unten und zeigt die Fotografie eines jungen Mädchens und seines Vaters, die im Outfit der Fünfziger auf einer Wiese stehen. Am rechten Rand ist das Bild stark überbelichtet. Ich persönlich vermute, hier ist der Film zu Ende gewesen, doch Theresa führt dies als Beweis für die
Weitere Kostenlose Bücher