Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
Während ich mich an der Uni für Hirnforschung interessierte, beschäftigte sich Theresa eher mit Wünschelruten, Chakren und Heilsteinen.
Irgendwann im dritten Semester kam Theresa ganz aufgeregt – und, wie so oft, barfuß – in die Uni und erzählte freudestrahlend, an der Viadrina in Frankfurt an der Oder endlich den perfekten Masterstudiengang für sich entdeckt zu haben: Kulturwissenschaften und Komplementäre Medizin. Also brach sie das Pädagogikstudium bei uns ab und pendelte fortan täglich zwischen Berlin und Hogwarts an der Oder , wie ein Blogger die Europa-Universität wegen des zauberhaften Studiengangs einst bezeichnete. Weil wir uns aber immer vortrefflich über den Unterschied von Wissenschaft und Parawissenschaften streiten konnten, dazu eine Passion für guten Kaffee teilen und uns irgendwie schon immer sehr sympathisch waren, stehen wir bis heute in sporadischem Kontakt miteinander.
»Also eigentlich hab ich dich ja angerufen«, setzt sie unser Telefonat fort, »um dich zu meinem Auftritt auf der Spirit 2011 einzuladen.«
»Ach Theresa, aus dem Alter für Techno-Festivals bin ich echt raus.«
»Jetzt stell dich doch nicht so an«, sagt sie ungeduldig. »Das ist eine Messe für spirituelle Zusammenkünfte!«
»Ich? Auf eine Eso-Messe?« Ich muss laut lachen. »Resi, du weißt doch, was ich …«
»Ach bitte«, unterbricht sie mich flehentlich, »dann würden wir uns endlich mal wieder sehen! Außerdem könnte dir eine energetische Beratung vielleicht auch in beruflicher Hinsicht weiterhelfen.« Sie erzählt mir von einem Mann, der die Inkarnation eines siebenhundert Jahre alten Weltlehrers ist und auf der Messe spirituelle Karriereberatung anbieten wird. »Na komm, was hast du denn schon zu verlieren?«
Das wurde ich vor Kurzem schon einmal gefragt, und keine drei Tage später habe ich keine tierischen Lebensmittel mehr zu mir genommen …
»Flo kommt auch mit, und der ist schließlich Physiker!«
»Dein Freund ist kein Physiker«, korrigiere ich Theresa grinsend, »sondern Physikstudent. In welchem Semester doch gleich?«
»Schon gut, hast ja recht«, lenkt sie ein und legt dann ein Lächeln auf, das ich sogar übers Telefon hören kann. »Also?« In manchen Dingen kann Theresa einfach verdammt überzeugend sein.
Zwei Tage später steige ich in Berlin-Wilmersdorf aus der U-Bahn und trotte einem Pärchen hinterher, das in Ponchos und Mokassin-Stiefel gekleidet ist. Unter ihren Strickmützen hängen lange Dreadlocks hervor, und weil mich dieser Stil ein bisschen an Theresas Winteroutfit erinnert, nutze ich meine Vorurteile als Navigationsgerät und folge den beiden unauffällig. Offenbar geleiten mich die zwei unfreiwilligen Sherpas in die richtige Richtung, denn mit jedem Meter nehmen die spirituellen Energien um mich herum zu. In der Ferne sehe ich eine Fahne mit dem weltweiten Erkennungszeichen für esoterisches Gedankengut: das Yin-Yang-Symbol, das über einem Regenbogen schwebt. Über der Eingangstür des prachtvollen Altbaus prangt ein Siegelschild mit merkwürdigen Runen, an dem Tisch hinter der schweren Eingangstür in das Gebäude empfängt mich eine umfangreiche Dame, die in weite rote Tücher gehüllt ist und alterstechnisch irgendwo zwischen meiner Mutter und meiner Oma liegt. Ihre weißblonden Locken kringeln sich über den Schultern, auf ihre langen Fingernägel sind geheimnisvolle Symbole gezeichnet, und ihr Gesicht ist hinter einer Maske aus vermutlich allen erhältlichen Arten von Natur-Kosmetik kaum noch erkennbar. Als ich vor sie trete, mustert sie mich von oben bis unten, neigt dann den Kopf etwas zur Seite und sieht mich mit prüfendem Blick an.
»Sag nichts!«, meint sie, schlägt eine Hand vor die Augen und zittert mit den Fingern der anderen einen Moment vor meinem Gesicht herum. »Ich spüre eine starke Energie«, nuschelt sie, »Feuer, ein Feuerzeichen, Hörner, Hufe …« Dann reißt sie die Hand theatralisch aus meinem Gesicht. »Du bist Stier, hab ich recht?«
»Keine Ahnung«, lüge ich. Damit ärgere ich Astrologen am liebsten, und auch bei der Lady in Red scheint es zu funktionieren. Sie reißt die dunkel geschminkten Augen auf, lehnt sich zurück und hält sich am Tisch fest. »Du kennst dein Tierkreiszeichen nicht?«
»Nö, eigentlich wollte ich auch bloß …«
»Besuch mich um Punkt zwölf an meinem Stand«, unterbricht sie mich forsch und blickt dabei auf ihre Digitaluhr, »da sollte ich das Interview mit Jimi Hendrix hinter mir haben. Ich bin
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