Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
mich fast. Hoffentlich geht Mutters Altes-Jahr-neues-Jahr-Programm schnell vorbei, denn heute bin ich dafür kein bisschen in Stimmung – leider, denn normalerweise genieße ich dieses Ritual sehr: die vergangenen zwölf Monate Revue passieren lassen, von den Höhen und Tiefen berichten, in den schönen Momenten schwelgen, sich über den verregneten Sommer ärgern und am Ende, wenn alle Geschichten erzählt sind, feststellen, dass das Jahr doch nicht so schnell vergangen ist, wie gern behauptet wird. Auch das scheint mir eine wichtige Funktion der Weihnachtsfeiertage zu sein: sich gemeinsam zu vergegenwärtigen, wie viele Dinge in einem Jahr passieren können, wie wichtig es ist, aus der Montag-Freitag-Montag-Freitag-Routine auszubrechen, und wie bunt und vielfältig das Leben sein kann.
Von bunter Vielfalt kann bei mir derzeit allerdings keine Rede sein, daher freue ich mich, als es an die Essensvorbereitung geht. Das Aroma der im Backofen schmorenden Rosmarinkartoffeln liegt schon in der Luft, da klingelt es plötzlich an der Tür.
»Ich wusste gar nicht, dass noch jemand kommt«, sage ich.
Meine Mutter weicht meinem Blick aus und nuschelt auf dem Weg zur Tür zwei Namen.
»Hab ich das richtig verstanden?«, wende ich mich an Georg, »Patrizia und Günther kommen?«
Mein Stiefvater zuckt mit einer Schulter, nickt langsam und erklärt, dass sich die beiden gestern angekündigt hätten. Na super. Patrizia, die Schwester meiner Mutter, ist ja schon schräg genug – aber wenigstens hält sie meistens den Mund. Im Gegensatz zu ihrem Mann Günther, der alten Labertasche, der mir schon auf den Geist geht, seitdem ich einen habe.
»Mensch, Brijitte«, höre ich ihn, den gebürtigen Kölner, da auch schon aus dem Flur pöbeln, »lass disch bütze!« Dann betritt er in ganzer Leibesfülle das Wohnzimmer, breitet die Arme aus und legt direkt mit seinem Lieblingsspruch los: »Wat schön, dat isch da bin!«
Günthers Auftreten glich schon immer einem mittelschweren Verkehrsunfall: Erst knallt es laut, dann sieht es furchtbar aus, riecht bestialisch und tut in allen Bereichen gleichermaßen weh – und doch empfinde ich eine Art seltsame Faszination, wenn ich ihm begegne, und kann den Blick nicht abwenden. Er hat eine so raumfüllende Präsenz, dass ich seine hagere Frau oftmals erst eine Stunde nach ihrer gemeinsamen Ankunft wahrnehme. Auch heute hat Günther sich wieder ganz besonders in Schale geworfen: Zu seinem cremefarbenen Zweireiher trägt er weiße Cowboystiefel, ein rotes Hemd mit großen weißen Knöpfen, eine Gürtelschnalle in Form eines asiatischen Drachens und eine Weihnachtsmannmütze, an deren Spitze ein blinkender Stern hängt.
»Geil, wa?«, pöbelt er mich an und stülpt mir zur Begrüßung das Teil über. »Dat sind unsere neuen Werbegeschenke für de Kunden – kannze haben!«
Dann presst er mich zur Begrüßung an seinen gigantischen Wanst, wobei ich mir nicht ganz sicher bin, ob ich eher von seinem Aftershave oder dem Anblick des riesigen Goldkreuzes, das er sich zu Weihnachten immer um den Hals hängt, ohnmächtig werden soll. Im Lauf meiner Jugend lernte ich, dass man mit Onkel Günther eigentlich nur kommunizieren kann, wenn man zwei Dinge beachtet: Begib dich auf sein Niveau, und biete ihm immer die Stirn. Seitdem muss ich mich zwar nicht mehr von ihm unterbuttern lassen, stehe aber bei jedem Treffen unter Zugzwang für den nächsten dummen Witz. Abgesehen davon leben wir ideell in zwei vollkommen unterschiedlichen Welten. Onkel Günther least sich jeden Herbst einen neuen Oberklasse- BMW und jeden Frühling ein Mercedes-Cabrio, finanziert seine fragwürdigen Statussymbole durch den Abschluss von Versicherungsverträgen, kreuzt auf jedem Wahlzettel instinktiv den katholischen Club der Konservativen an und – am schlimmsten – ist sogenannter Alter Herr einer schlagenden Verbindung.
»Mensch, Tante Günther!«, begrüße ich ihn und imitiere seinen rheinischen Tonfall. »Örjentwat is an dir anders: Haste abjenommen? Oder ’n neuet Nuttenwasser?«
»Nix da, Kleiner«, sagt er und schlägt auf seine steinharte Wampe, »immer noch hundat-fuffzisch und Old Spice! Ach wat: Da sind ja auch dat Püppschen und ihr Püppschen!«
Sarah kneift die Augen fest zusammen, während er sie und Klara umarmt.
»Immerhin haste dir ’n hübschet Püppschen ausjesucht, Flippo!«, beglückwünscht er mich und schaut dabei entweder auf Klaras Kopf oder auf Sarahs Brüste. »Nur dat mit dem Job üben wa
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