Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
doch sch…«
»Vitamin B is eben jesund, deswegen sollte man seine Beziehungen gründlisch pflegen.« Günther bleibt hart. »Ansonsten: Pesch jehabt!«
»Also haben einfach alle Frauen, Homosexuellen und Zuwanderer Pech gehabt, ja?« Ich breite meine Arme aus und gebe mich dem Zynismus hin. »Willkommen im Land der Lobbyisten!«
»Philipp und Günther!« Meine Mutter steht auf und schaut uns beide streng an. »Worum hatte ich euch beide gebeten?«
Ich nicke, atme tief durch, entschuldige mich bei ihr und lehne mich grummelnd zurück.
»Also, mehr wie anbieten kann ischet dir nisch«, giftet mein Onkel mich an, schiebt den Tisch etwas nach vorn und wuchtet seinen Körper vom Stuhl. »Isch geh eene rochen!«
Als er verschwunden ist, herrscht vorübergehend Stille am Tisch. Sobald mein Ärger über Günthers elitäre Einstellung ein bisschen verflogen ist, folge ich ihm auf die Terrasse und zünde mir neben ihm eine Zigarette an. Dann schlucke ich auch das letzte bisschen Unmut runter und versuche, im Geist der Weihnacht zu handeln. Was auch immer das bedeuten mag.
»Ich weiß ja, dass du es gut meinst, aber ich glaube, Burschenschaften und ich – wir finden einfach nicht mehr zusammen.«
»Schon o. k.«, meint er und haut mir auf die Schulter, »isch war doch auch mal jung und blöde! Jetzt bin isch nur noch blöde, hähähä!«
»Außerdem wüsste ich ehrlich nicht«, lenke ich etwas ein, »wie deine Burschen einen Pädagogen vermitteln sollten. Ist das nicht eher was für Juristen und Wirtschaftswissenschaftler?«
Er schaut mich verschwörerisch an. »Wenn du wüsstest, min Jung«, sagt er und drückt seine Zigarette aus. »Bauklötze würdest du staunen!« Dann lässt er mich draußen stehen.
Was soll das denn nun schon wieder heißen? Egal, immerhin wäre das damit geklärt, und so bleibt auf der Liste der Probleme, die ich heute noch zu lösen habe, nur noch ein großer Punkt: Sarahs Laune. Die ist nicht nur durch unsere Streitigkeiten der letzten Tage getrübt, sie vermisst ihre Eltern offenbar noch stärker als befürchtet.
Während des folgenden Programmpunkts des Abends (dem Spiel des Wissens , dessen Fragen und Antworten wir nach knapp zwanzig Jahren fast komplett auswendig kennen) probiere ich es bei ihr mit einem gelegentlichen Witz oder dem Versuch einer Umarmung – doch keine Chance: Sarah bleibt so unterkühlt wie die Temperaturen vor der Haustür, insbesondere mir gegenüber. Als wir Klara im Gästezimmer schlafen legen, komme ich zum ersten Mal dazu, meine Liebste unter vier Augen nach ihrem Wohlbefinden zu fragen.
»Schlecht geht’s mir!«, mault sie und kann nur schwer die Tränen zurückhalten. »Du hast ja deine Familie um dich herum – aber ich?«
»Aber du hast doch Klärchen und mich bei dir«, beruhige ich sie. »Wir sind doch deine Familie, und wir sind immer für dich da – versprochen!«
Sarah nickt und lehnt sich an meine Brust.
»Lass uns doch zusammen hier warten, bis die Kleine eingeschlafen ist«, schlage ich vor und knipse das Licht aus. »Eine kleine Heiligabendpause tut uns beiden mal ganz gut …«
Das Licht der Straßenlaterne fällt durchs Fenster auf das Bett, wo es sich Klara nun in der Kuhle zwischen mir und Sarah gemütlich macht. Ein paar Minuten lang wälzt sie sich noch hin und her, schnauft und gähnt, dann schläft sie ein. Ich schließe die Augen, liege da und spüre den Atem unseres Töchterchens am Hals. Sanft streichele ich über Sarahs Haar. Schon wieder ein solcher Moment, ein vollkommener, von dem ich mir wünsche, dass er nie enden möge – und der Moment, in dem mir endlich ein Licht aufgeht.
»Ich hab eine Idee«, flüstere ich Sarah zu. »Wenn Klara in ’ner halben Stunde nicht wach geworden ist, machen wir einen kleinen Winterspaziergang, okay? Nur du und ich.«
Sarah nickt, dann schleichen wir vorsichtig aus dem Zimmer. Als sich Klara auch nach einer weiteren Runde Wissensquiz nicht via Babyfon gemeldet hat, verkünden wir unser Vorhaben und ziehen uns warm an.
Draußen ist es bitterkalt, dicke Schneeflocken rieseln geräuschlos am gelblichen Schimmer der Gaslaternen vorbei. Warmes Licht scheint aus den Fenstern der Nachbarhäuser, und mit jedem Meter, den wir uns von der nahe gelegenen Hauptstraße entfernen, wird die Umgebung ein bisschen mehr zu der stillen Nacht, die in dem Lied wohl gemeint ist. Ein paar Meter laufen wir schweigend nebeneinanderher, begleitet von den weißen Wölkchen unseres Atems. Dann lege ich meinen Arm
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