Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
Sponsoren sich die Zuschauer erinnern.
»Aber das sollte man vielleicht nicht allzu direkt sagen.« Sie lächelt mich schief an. »Also: fünfhundert Nummern – traust du dir das zu?«
Ich nicke.
»Sehr gut, aber vermassel es nicht!«
Sie drückt mir ein Blatt Papier in die Hand, auf dem die Liste der ausgewählten Interviewer und der Treffpunkt mit ihnen vor dem Stadion vermerkt sind. Halbwegs geschickt gehe ich Lorenzos neidischem Blick aus dem Weg und begebe mich an meinen Stasi-Platz im Telefonstudio.
Wie heißt es so schön: Vom Feeling her habe ich ein gutes Gefühl. Ein lockerer Job, denke ich mir. Was kann man denn dabei schon vermasseln? Mit der Begleitung von Ausflügen habe ich schließlich schon als Lehrer wertvolle Erfahrung sammeln können, und zwar mit siebenundzwanzig renitenten Kids! Außerdem haben wir laut Plan zwei Stunden vor dem Spiel, die gesamte Halbzeit und eine Stunde nach dem Spiel Zeit, was rein rechnerisch bedeutet, dass ungefähr alle vier Minuten eine Telefonnummer auf dem Blatt eines jeden Interviewers landen muss. Als ich meine Kollegin Nina auf der Liste entdecke, freue ich mich auf einen erneuten Ausflug mit dieser etwas durchgeknallten, aber doch liebenswerten Frau.
Mit elf Sets, bestehend aus Klemmbrett, Vordrucken für die Telefonnummern, Namensschild und Eintrittskarte, verlasse ich am Samstagnachmittag unsere Wohnung. Die Trageschlaufen des gelben IKEA -Sacks schneiden in meine Schulter ein, als ich die Treppen zur S-Bahn hinaufsteige und ein Ticket ziehe. Dann fährt der Zug ein.
»Ach du liebe Güte!«, stöhne ich leise, denn schon im ersten Waggon, der noch mit recht hoher Geschwindigkeit an mir vorbeirauscht, sind ausschließlich zwei Farben zu erkennen, die in Kombination nur selten etwas Gutes bedeuten: Blau und Weiß.
»Hier is’ nur für Hertha-Fans«, pöbelt ein Mann aus dem brechend vollen Waggon, als ich mich mit der großen Tasche zwischen die Schalträger drängle.
»Beruje dich, Kalle«, ruft eine Frauenstimme von hinten, »dit is bloß ’ne Ikea-Tüte.«
»Mit gelb biste heute aber ganz schlecht beraten«, klärt mich ein Fan auf, der scheinbar noch nüchtern ist.
»Wieso das?«
Ungläubig starrt er mich an. »Das ist die Farbe des Gegners!«
Na toll: Mit nur 50 Cent Investition hätte ich jetzt eine blaue Tasche dabei. Je näher wir dem Umsteigebahnhof zum Stadion kommen, desto größer werden die blau-weißen Massen, die meist erfolglos versuchen, sich in die Bahn zu zwängen. Als wir das Westkreuz schließlich erreichen, entstehen beim Aussteigen erstmalig leicht panikartige Zustände, die mich wieder daran erinnern, warum ich so ungern Massenveranstaltungen besuche. Außerdem riecht es streng nach den drei wichtigsten Zutaten eines Besuchs im Fußballstadion: schales Bier, Zigaretten und eine undefinierbare Mischung aus verschiedenen Ausdünstungen des menschlichen Körpers. Auch in der nächsten S-Bahn herrscht eine wilde Stimmung. Nicht gemeinsam, aber gleichzeitig stimmen die Fans die ersten Lieder an, bei denen sich der Mob von einer Seite zur anderen neigt, bis der ganze Waggon schaukelt. Danach brüllen ein paar junge Männer aus voller Kehle ihre Freude heraus. Einfach so. Weil sie es können.
Während viele der Menschen um mich herum ohne ihre Fankluft vermutlich ganz harmlos sind, scheint die Metamorphose zum Fußballfreak erstaunliche Merkmale mit sich zu bringen. Mit jedem Schal, jedem Trikot und jeder Hertha-Mütze steigt der Freakfaktor kontinuierlich. Parallel zur Verkleidung darf auch die Veränderung der Hirnchemie nicht fehlen, die durch zwei maßgebliche Faktoren bestimmt wird: Alkohol und die Anwesenheit von Gleichgesinnten, beides in Massen. Richtig spannend wird die Sache also erst, wenn Fußballfans im alkoholisierten Rudel auftreten – so wie hier.
Als sich die Türen im S-Bahnhof Olympiastadion öffnen, kommt es zur ersten Rangelei, die jedoch schnell von ein paar Vernünftigen geschlichtet wird. Gut, dass solche Fans hier offenbar in der Überzahl sind – denn mit der Aussicht auf die Anwesenheit von Hooligans hätten mich keine zehn Pferde hierherbekommen. Unter den Menschen, mit denen ich nun den Fußweg zum Stadion antrete, sind stattdessen zahlreiche Familien vertreten, Rentner, Schülergruppen, Menschen verschiedenster Nationen – eine bunte Mischung also, was meine Eindrücke aus der Bahn etwas relativiert.
Am vereinbarten Treffpunkt warten bereits die ersten Interviewer auf mich, und weil meine Chefin
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