Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
Egal, das wird sich dann am Telefon herausstellen, erstmal sammele ich lieber weiter Nummern. Fünfundzwanzig Minuten habe ich nun also für vier Erfolge gebraucht und liege damit deutlich unter meinem errechneten Durchschnitt. Mal schauen, wie weit die anderen sind.
»Wir haben erst zwölf«, berichtet Team eins knatschig, »das ist voll schwer!«
Auch bei den anderen sieht es nicht besser aus, doch dann entdecke ich Nina beim Schreiben. »Zwanzig!« Trotz ihrer Gothic-Vamp-Optik scheint sie einen guten Schnitt zu machen. Vielleicht hilft ja ihr semitransparentes Oberteil?
»Und dein Kollege?«
»Keine Ahnung, der wollte sich erstma ’n …«
»Ja?«
»Was zu trinken besorgen!«
Na, das läuft ja super. Nach einer Stunde liegen wir fast dreißig Nummern hinterm Soll, meine Mitarbeiter gehen einen saufen, und weil der Alkoholpegel im Publikum kontinuierlich steigt, beschweren sich die Mädels schon jetzt über erste anzügliche Bemerkungen. Na warte, wenn ich das mitkriege, dann … dann werd ich aber stinkesauer!
Als wir uns kurz vor dem Anpfiff am Treffpunkt zusammenrotten, will ich eine motivierende Halbzeitpausenkabinenrede im Stil des Bundestrainers halten: »Wir müssen besser werden, Leute, viel besser! Und ich weiß, ihr könnt das! Ihr habt das Potenzial dazu. Und ihr habt es verdient. Dieser Weg wird kein leichter sein, aber wenn ihr an euch glaubt und kompakt im Mittelfeld steht, die Räume dichtmacht und euch hinten keine Fehler erlaubt, dann bin ich sicher, dass wir die fünfhundert Telefonnummern locker zusammenkriegen.«
Mäßige Begeisterung in den jungen Gesichtern.
»Sprecht ruhig auch mal …«
»Können wir jetzt das Fußballspiel gucken?«, will Ninas Teampartner wissen und stößt leise auf.
Ich atme tief durch die Nase ein und wünsche uns allen eine schöne erste Halbzeit. Dann betrete ich gemeinsam mit Nina das Stadion. Der Jubel ist bereits zu hören, als wir die breiten Treppen emporsteigen. Beim Anblick der protzigen Architektur muss ich unweigerlich an die Olympischen Spiele im Jahr 1936 denken. Geschichte zum Anfassen, wenn auch eine grausame. Dann durchschreiten wir die Gänge und stehen auf der Tribüne mitten im Hexenkessel. Zigtausende johlen und grölen, schwenken blau-weiße Fahnen, schütten sich Bier aus Plastikbechern hinter die Binde und rauchen, was das Zeug hergibt. Auf der anderen Seite ist der schwarz-gelbe Fanblock zu sehen, der wie wildes Getier hinter einem Bauzaun eingesperrt ist. Wer wird hier wohl vor wem geschützt?
Nina und ich suchen uns einen Stehplatz, werden aber sofort angepöbelt: »Ey, ihr Friehks – war euer Fatta Glasa, oda wat?«
Nina dreht sich um. »Freaks? Guck dich mal an, du …«
Schade eigentlich, dass diese schöne Bezeichnung fürs Anderssein oft so gehässig, so negativ verwendet wird – dabei sind wir doch alle ein bisschen plemplem. Zum Glück.
Bevor es hier aber Ärger gibt, ziehe ich Nina schnell weiter, denn immerhin tragen wir unsere Namensschilder mit dem Firmenlogo auf der Brust spazieren. Ein paar Meter weiter finden wir endlich einen Platz, der uns einen freien Blick auf den Mittelkreis ermöglicht. Den Anpfiff höre ich nicht, den Ball sehe ich kaum, aber da die Spieler nun auf dem Rasen herumtollen, scheint das Spiel angefangen zu haben.
Hach ja, Fußball und ich, das hätte eine große Freundschaft werden können – wäre da nicht der Verein gewesen. Noch als Fünftklässler verfolgte ich gespannt wie ein Flitzebogen die Weltmeisterschaft 1990, sammelte Panini-Bilder und wusste über jeden Spieler der Nationalmannschaft Bescheid – inklusive seines Heimatvereins, seiner Torerfolge und seines Marktwerts. Zu dieser Zeit spielte ich im offensiven Mittelfeld unseres ortsansässigen FC und wurde sogar einmal Torjäger des Monats. Doch dann verließ unser junger cooler Trainer den Verein und wurde durch Winfried, einen grimmigen Mann mit Schnauzbart und steifem Bein, ersetzt. Als ich meinen Eltern schließlich von der Trainingsfahrt nach Mallorca berichtete, meldeten sie mich sofort ab. Statt uns zu trainieren, schickte uns Winfried nämlich fast täglich in den Pool und machte es sich dann mit den zwei Betreuern an der benachbarten Bar gemütlich. Ab zehn Uhr morgens.
0:1, die Hertha liegt hinten – klar! Meine Kenntnisse über Deutschlands anhängerstärkste Religion beschränken sich inzwischen auf ein paar legendäre Sprüche wie »Der Ball ist rund, und das Spiel dauert neunzig Minuten« oder »Das Runde muss
Weitere Kostenlose Bücher