Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
ins Eckige«. Aber eines weiß ich mit großer Sicherheit: Deutschlands Hauptstadtmannschaft gehört bei Weitem nicht zu den erfolgreichsten unserer Nation. Wie kommt das? Sollte der Regierungssitz der Freaks nicht auch im Fußball ganz vorn dabei sein? Und warum gibt es in Berlin prozentual gesehen viel weniger Fußballnarren als zum Beispiel im Ruhrgebiet oder in Bayern?
Von einem Kumpel, der vor vielen Jahren aus Gelsenkirchen zu uns geflüchtet ist, weiß ich zum Beispiel, dass man auf Schalke schon mal seine Ärztin, seinen Steuerberater, den Friseur, die Fleischerin oder den Bäcker trifft. Und wenn man Pech hat, auch seinen Lehrer. Dort ist Fußballfanatismus jedenfalls keine Frage des Milieus. Das sieht in Berlin anders aus.
Hängt der Erfolg einer Elf vielleicht mit dem Geld zusammen? Bekanntermaßen gibt es in unserer Metropole ja alles, außer Kohle – vielleicht wurden also einfach nicht genug Millionen in die Figuren investiert, die auf dem Grün das Leder treten? Oder schmiert die Hertha einfach die falschen Schiris? Spaß beiseite: Beim Fußball geht vermutlich alles mit rechten Dingen zu. So wie beim Boxen. Oder beim Radrennen. Oder überall dort, wo Spitzenbeträge für Spitzenleistungen bezahlt werden. Na ja, wenigstens zahlen die alle Steuern. Irgendwo.
Als es wenige Minuten vor der Halbzeit 0:2 steht, mache ich mich mit Nina auf den Weg zum Treffpunkt mit unserer Mannschaft. Die Laune der Herthaner entspricht dem Spielstand, und als sich die Fans nach erfolgreichem Bölkstoffwechsel wieder in ihre Käfige begeben, ziehen wir die nächste Bilanz: 312 Nummern. Nicht schlecht, aber da wir die Fans während des Spiels nicht belästigen sollen, müssen wir den Rest wohl danach sammeln. 18,8 Nummern pro Person, etwas weniger, wenn ich mitmache. Das wird knapp, aber irgendwie werden wir es schaffen müssen … Wir dürfen jetzt nur nicht den Sand in den Kopf stecken.
In der zweiten Halbzeit entdecken Nina und ich zwei Sitzplätze in einem der weniger chaotischen Blöcke. Hier sitzen mehr Kinder, hier herrscht eine ausgelassene Stimmung, ohne dass die Meute pausenlos in frenetisches Grölen ausbricht. Vor allem kann ich von hier den Ball sehen, und als die alte Dame Hertha fast den Anschlusstreffer erzielt, springe ich sogar von meinem Sitz auf, reiße die Arme hoch und schlage die Hände über dem Kopf zusammen.
Nur wenige Minuten später ist es dann endlich so weit. Nach einem satten Distanzschuss landet das Leder im Netz der schwarz-gelben Mannschaft. Die Menge jubelt so laut, dass ein Funke der Begeisterung auf mich überspringt. Ein recht großer noch dazu, denn in den folgenden Minuten erwische ich mich dabei, mit Spielern und Fans mitzufiebern. Haben wir vielleicht doch noch eine Chance?
Moment mal: wir? Identifiziere ich mich etwa gerade mit dem Kickerteam meiner Heimatstadt? Ganz ungewöhnlich wäre das ja nicht, denn selbstverständlich habe ich zu den Blauen eine stärkere emotionale Bindung als zu den Gelben.
Unweigerlich fällt mir ein Seminar an der Uni ein, in dem es um das sogenannte Ingroup-Outgroup-Verhalten ging: Angehörige einer Gruppe werden die Mitglieder der eigenen Sippe immer bevorzugen, andere hingegen benachteiligen. Für diese Einsicht muss man ja eigentlich keine akademische Hochschule besuchen, dachte ich damals, außerdem leben wir schließlich nicht mehr auf Bäumen. Bedenkt man allerdings, dass der Mensch 99,9 Prozent seines Daseins in Kleingruppen mit ungefähr hundert Mitgliedern lebte, scheint es kaum verwunderlich, dass dieses Verhalten tief in uns verwurzelt ist. Ob Religion oder Staat, ob gemeinsames Hobby, Burschenschaft oder ein ähnlicher Musikgeschmack: Gleich und gleich gesellt sich eben gern. Immerhin nicke ich ja auch nur den Joggern zu und nicht den Fußgängern oder Radfahrern – oder gar den Nordic-Walkern! Natürlich wäre es schöner, wir Menschen könnten solche Gräben überwinden, könnten allein aufgrund unseres Menschseins miteinander eine Fairnessgemeinschaft gründen. Noch schöner wäre es, wenn wir sogar die überflüssige Linie zwischen Menschen und anderen Tieren auflösen könnten, sodass die Goldene Regel auch für die restlichen Mitbewohner des grünen Planeten gälte. Aber seien wir realistisch: Das wird wohl noch eine Weile dauern. Außerdem müsste ich dann sogar die Hunde beim Joggen grüßen, was mir deutlich zu weit ginge.
Wieder geht ein Aufschrei durch den Berliner Fanblock: ein wunderbarer Eckstoß, der mit ein bisschen
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