Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
wohl etwas von Zielgruppenorientierung versteht, handelt es sich dabei fast ausschließlich um junge Frauen mit einem gewinnenden Lächeln. In den folgenden Minuten trudelt Nina in Begleitung zweier Interviewer ein, sodass unser Team mit acht Frauen und, inklusive mir, drei Männern komplett ist. Dann bitte ich die Truppe, sich im Kreis um mich herum zu versammeln, und teile die Klemmbretter mit den Vordrucken aus. Dazu erhalten alle ein Namensschild und die Eintrittskarte, dann sage ich meine Handynummer an, für Notfälle. Wie mit Karin abgesprochen, teile ich die Gruppe in fünf Pärchen auf, die sich dort aufstellen sollen, wo der Customer Flow am höchsten ist: vor Bier- und Wurstbuden, in der Nähe der Fanshops und bei den Schlangen vor den Eingängen ins Stadion.
»Sprecht möglichst nüchterne Leute an, und sammelt nur Nummern von Volljährigen«, gebe ich Karins Ansage weiter, »und lasst euch bloß nicht blöd anmachen. Wenn’s Stress gibt, ruft ihr mich an!«
Eine Interviewerin, die aussieht, als hätte sie gerade erst ihr Abitur gemacht, meldet sich. Wie in der Schule, also nehme ich sie reflexartig dran.
»Und was machst du dann?«, will sie wissen.
Stille.
»Ich, öhm …« Gute Frage. »Ich … hol dann die Security!«
»Können wir das nicht selbst machen?«, hakt sie nach. »Ich mein, wir sind ja schließlich zu zweit … und keine Kinder mehr!«
Mensch, Möller, du musst dir den Lehrerton wohl doch noch besser abtrainieren. Versprich es! Ich nicke ihr zu, schaue auf die Uhr und klatsche dann in die Hände. »Okay, Leute – auf geht’s!«
Auf dem belebten Vorplatz des Stadions strömen alle Pärchen in verschiedene Richtungen aus, und auch ich stürze mich mitten ins Getümmel. Ich habe zwar nicht den ausdrücklichen Auftrag, Leute nach Telefonnummern auszuspionieren, aber bevor ich hier dumm rumstehe und Hertha-Fans beim Verzehr von Bier und Bratwurst zusehe, kann ich mich auch nützlich machen. Ich schnappe mir also das elfte Klemmbrett und wende mich den ersten potenziellen Interviewpartnern zu. »Hallo, ich hätte eine kurze Frage«, spreche ich zwei ältere Herren mit Schnurrbärten an.
»Verpiss dich!«
Wie bitte? Das sagt man aber nicht! Etwas irritiert mache ich weiter. »Guten Tag, ich bin vom Imameifo …« Eine Dame mit zwei Kindern bleibt stehen – meine Chance! »Wir führen im Anschluss an das Spiel eine telefonische Befragung durch, und …«
»Wat krieje ick dafür?«
»Äh, Aufwandsentschädigungen können wir leider nicht …«
Wortlos lässt sie mich stehen.
Zehn Minuten und mehrere Körbe später laufe ich mit dem leeren Block durch die Menschenmengen und merke, dass alle, die mein Versicherungsvertreterlächeln sehen, schnell den Blick abwenden und einen Bogen um mich machen. Also bitte: Man kann ja wohl wenigstens Nein sagen! So wie ich, wenn mir die 17-Jährigen vom Naturschutzbund oder Amnesty International in der Fußgängerzone vor die Füße springen, mich breit anlächeln, dabei die Köpfe zur Seite neigen und mir unterstellen, ich wäre doch sicher bereit, Menschen in Not zu helfen.
Auch nach fünfzehn Minuten habe ich keine einzige Telefonnummer ergattert. Dafür weiß ich inzwischen, wo ich mir das Klemmbrett hinstecken soll. Langsam zweifele ich an meiner Methode – vielleicht sollte ich doch mal Besoffene ansprechen? Mutig gehe ich auf eine Gruppe angetrunkener Oberschüler zu. »Na, Jungs, würdet ihr mir eure Telefonnummern geben?«
»Bisse schwul, oder wat?«, will der Kräftigste von ihnen wissen und baut sich vor mir auf. »Obde ’ne Schwuchtel bist, haick jefraacht!«
Die andern lachen sich kaputt.
»Nein, nein!« Das scheint mir jetzt die klügere Antwort zu sein, als Das geht dich gar nix an, du Arsch! Außerdem würde sich der Typ wahrscheinlich wundern, wenn er wüsste, dass die Schwulenquote unter Profifußballern genauso hoch ist wie in allen anderen Berufen. »Ich sammel bloß Nummern für ’n Interview … zum Thema Fußball!«
Ich hebe meine Augenbrauen und lächele ihn hoffentlich gewinnend an, woraufhin er sich wieder an seine Kumpels wendet. »Doch schwul!«, meint er und sammelt dafür drei High-Fives ein. »Schon jut, ick bin dabei!«, lallt er dann und diktiert mir überraschenderweise seine Handynummer. Einen kleinen Freudenschrei spare ich mir jetzt besser. Auch die anderen erklären sich bereit, also ziehe ich mit dem Viererpasch in der Hand weiter.
Moment mal, die Jungs waren zwar voll – aber auch volljährig?
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