Bin oder die Reise mach Peking
Diener ging hin und her. Ich dachte an Bin, der draußen wartete, während wir nun, als wäre ich dazu gekommen, einen Tee tranken … übrigens blieb es nicht der einzige Tee, natürlich war es ein sehr guter Tee, und jedesmal bestaunte ich wieder die feinen Tassen, durchsichtig wie ein Abendhimmel schimmerten sie in deiner scheuen Hand, chinesisches Porzellan, echtes, daran war nicht zu zweifeln. Auch der Tee war echt, eine Wolke von goldener Helle und Duf, blumig, heiter und herb, im Hintergrund herb. Ich war nun offenbar ihr Gast, konnte haben, was mich lockte, und alles war sehr schön, so schön, daß man zu denken gar keinen ehrlichen Anlaß hatte, zu fragen, woher und wieso und wohin. Ich genoß es. Auch waren es, wie man von Chinesen erwartet, sehr höfliche Leute, die immerfort taten, als hätten sie schnurgerade auf deinen Besuch gewartet; ich wagte schon kaum mehr zu sagen, daß ich nur die Rolle unter ihrem Dach hatte einstellen wollen und so weiter, denn der Herr, der in ganz auffallender Weise ein Herr war, blieb meinetwegen von jeder weiteren Jagerei fern, und da ich also niemand kränken oder auch nur mit einer Enttäuschung beschatten wollte, erwähnte ich mit keinem Wörtlein mehr das nahe Peking, das wirkliche Ziel. Im Herzen vergaß ich es ja nicht – Eines Tages sagte der Herr:
»Verehrter und edler Freund, der Sie uns ebenso ehren wie beglücken, indem Sie unser Gast sind, von unserer Tafel speisen und unsere Muße mit uns teilen, den Duf unsrer bescheidenen Blumen atmen, den Schmetterling loben, der sich auf Ihrem Fuße niederläßt, und nicht minder den Fisch in unseren bescheidenen Gewässern und Teichen, – ich habe mit Schrecken vernommen, was unsere Seele, der Ihre Muße teuer ist, nicht glauben mag! Meine Tochter, das erschrockene Kind, hat mir unter Tränen erzählt, Sie wären ein Sklave. Sie hätten es selber gesagt.« »Wir sind es alle.«
Wir saßen bei einem Frühstück, das die herbstliche Sonne beglänzte, so lieblich und appetitlich, daß einem das Herz jubelte über soviel leckeren Dingen, die es in diesem Lande oder wenigstens in diesem Hause noch gab. Hatte uns das Märchen schon einmal entführt, so ließ es sich nicht lumpen; es schickte den Diener mit Fischen und Früchten, mit feinen Likören, aber auch mit einfachen Dingen, mit Butter und weichen Eiern, mit Schinken und Lachs, mit Zwieback und englischer Marmelade, mit Zucker, mit Kaffee. Ich glaube, ich futterte ohne Stil und Sitte durcheinander, und der Herr, mein Gönner, tat mir nun leid, denn erblickte mit Entsetzen auf seinen Gast und teuren Freund, der sich, wie ich mich wohl erinnerte, selber einen Sklaven genannt hatte. Bald war ich der einzige, der trank, schnitt und strich und unverdrossen aß und wieder trank …
»Wir sind es alle, fast alle«, sagte ich milder, als ich ein nächstes Mal nichts im Munde hatte, »wir leben wie die Ameisen, drüben im Abendland. Und wir könnten Menschen sein, so herrlich wie ihr … Einst, denken Sie, waren wir schon Kinder! Wir sahen Schmetterlinge auch bei uns, wir standen unter einem silbernen Wasserfall, nicht anders als die beiden Weisen auf eurem edlen Bilde. Wir hatten Zeit wie sie, Muße, wir tauchten den Arm in den munteren Strahl, genau so. Heute ist es ein Bild an der Wand, bestenfalls. Wir sahen den huschenden Glanz im Innern der Muschel. Wir sahen alles. Wir hielten die Muschel ans Ohr; wir hörten das Meer. Wir hatten Zeit! Ich weiß nicht, wer sie uns genommen hat. Ich weiß nicht, wessen Sklaven wir sind. Wir leben wie die Ameisen, drüben im Abendland.« Ich erzählte von drüben.
»Wir nennen es die Wochentage. Das heißt, jeder Tag hat seine Nummer und seinen Namen, und am siebenten Tage, plötzlich, läuten die Glocken; dann muß man spazieren und ausruhen, damit man wieder von vorne beginnen kann, denn immer wieder ist es Montag –« »Wie entsetzlich!« meinte die Dame.
»Ja«, nickte ich, »so darf man es nennen.«
»Wer zwingt sie denn dazu?«
»Wer …?«
»Wird es den Menschen nicht schwindlig dabei?«
»Schwindlig?« sagte ich, »Gewöhnung ist alles.
Wir können uns ein Dasein ohne Wochentage gar nicht vorstellen. Sie werden nun denken: Das ist ja ein Dasein, das sich nicht lohnt … und doch weinen sie, wenn einer stirbt. Überhaupt ist alles voll Widerspruch und Widersinn, ganz komisch. Unsere Seele gleicht einem Schneeschaufler, sie schiebt einen immer wachsenden, immer größeren und mühsameren Haufen von ungestilltem Leben vor
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