Bin oder die Reise mach Peking
wohnen, wie offen die Tore uns stehen. Man hätte stutzen können, wie sie des Weges kamen, Krämer, die eben auf dem Markte waren, Kulis, die ihre Lasten trugen, die auf den Boden blickten, damit sie nicht stolperten und das Genick nicht brachen unter ihren Lasten, Herren auch, die sich in einer Sänfe tragen ließen, lächelnd, fächelnd. Man hätte stutzen können. Sie gafen mich an, die Träger, die Herren – man hätte sie packen mögen, den ersten besten, einen Wasserträger zum Beispiel:
»Mensch, Freund, wissen Sie es denn nicht?« »Was?«
»Wie selig, wie herrlich, wie wunderlich das Leben sein kann, sehen Sie es denn nicht? Ein solcher Morgen …«
Er glotzte mich an. Sie wohnen in Peking, dachte ich, und wissen es nicht!
»Nur einen Augenblick!« sagte ich zu Bin, »ich werde fragen, ob ich meine Rolle nicht einstellen darf –«
In diesem Sinne trat ich vor das nächste beste Haus; bereits hatte ich an den schönen chinesischen Gong geschlagen und wartete, wartete … Das Wesen, das mich mit höflichen Gebärden zum Eintreten gewissermaßen gezwungen hatte, war verschwunden; ich stand mit der Rolle in der Hand, wie man eben in einer fremden Halle steht, scheinbar gelassen, im Grunde ein wenig bekümmert um die Zeit, die nun wieder verlorenging. Vor allem das Gefühl, daß Bin draußen wartete, war mir peinlich, erfüllte mich mit einer gelinden Unrast, mit einem gewissen Aberwillen, der mir verbot, mich weiter in dem fremden Hause umzusehen, wie es einer von unserer Gilde sonst tut. Ich hatte gehof, man würde mir die Rolle einfach abnehmen, begreifen und nicken, drei Worte und weiter. Nach und nach, da niemand kam, fing ich doch an, mich umzusehen. Es war eine schöne, sogar sehr schöne Halle, wenn man so sagen darf, denn sie war von der Art, wie ich sie schon of hätte bauen mögen, und wie sie, das war der Witz, in meiner leidigen Rolle ganz ähnlich entworfen war. Ein wenig zwar, bemerkte ich, war alles doch anders. Das Fenster zum Beispiel, jener lockere Durchblick in den Garten und in die Ferne, den ich mir immer als einen Schleier von Sprossen, ein zierliches Gitter vor der Erwartung gedacht, hier war er groß und leer, geheimnisvoll, zu offen, zu wenig sparsam, geistlos. Ach nein, so war das nicht gemeint! Und auch die Pflanze, die mit ihren grünen Arabesken vor einer stillen Wand steht, vor der Helle eines rauhen Putzes: wie aus der Skizze geschnitten, nur viel zu klein, lächerlich, peinlich. Überhaupt befiel mich ein heimliches Entsetzen, obschon jedes einzelne Ding getreulich stimmte, so, als hätte es ein Fremder ganz schamlos aus deinen Plänen genommen, nur nicht aus deinem Sinn. Es fehlt der Maßstab, das Verhältnis, nichts anderes als dies, worauf es ankommt. Man trocknet sich Stirne und Nacken. Auch das, schien mir, hatte ich schon einmal erlebt, diesen Hohn der Verwirklichung, dieser feindselige und bösartige Eigensinn alles Fertigen. Die Treppe in meinem Rücken, sie wollte überhaupt nicht mehr aufhören und kletterte und kletterte, so gut gefiel sie sich selber, kletterte in immer weiteren und höheren Spiralen, lange schon sinnlos, eitel auf ihr Geländer – Endlich kam jemand zurück.
»Verzeihen Sie!« sprach ich, »vor Ihnen steht und verbeugt sich ein Fremdling, der nicht weiß, was hierzulande Sitte ist. Allein ich hoffe sehr, daß meine Frage, die vorzubringen eine ebenso wunderliche wie glückliche Lage mich drängt, in Ihrem Lande nicht ein Frevel sei –«
Noch einmal hielt ich die ganze, ziemlich lange Rede, Wort für Wort, wie ich sie schon einmal dem weiblichen Dienstboten gehalten hatte. Zum Schluß sagte ich etwa:
»In diesem Sinne, Herr, verbeuge ich mich zum drittenmal, so gut ich es vermag. Drüben verbeugen wir uns nie. Drum haben wir auch Angst, ach, vor so vielem. Noch vor dem eigenen Traum, den wir nicht verstehen. Hier, weiß ich, bin ich im alten Lande des Traums; man lacht mich nicht aus, wenn ich sage, daß ich nur durch die Mittel des Traumes an diesem ersehnten Ort bin. O Herr, wo wären wir wirklicher! Zu lange haben wir den Traum aus uns verstoßen; er lebt ohne uns, wir ohne ihn. So sind wir niemals ganz. Ich weiß nur, unter wirklichen Menschen, unter schöpferischen Völkern ist alles das anders …« Nachdem ich diese Worte gesprochen, erhob ich mich aus der Verbeugung, die mir wohlgetan hatte. Es war ein Diener, diesmal. Er blickte mich an, dann führte er mich die entsetzliche Treppe hinan.
»Es ist«, sagte ich in einem anderen
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