Bin oder die Reise mach Peking
gegenüber, der an der Zeit wäre, trinkt man einen Kirsch oder zwei, als läge es etwa im Gaumen …
»Bin«, sage ich dann, »woher kommt es, daß wir alle einen Knacks haben, fast alle?« »Knacks?«
»Knacks«, wiederhole ich, »man kann es anders kaum nennen … Eben denke ich an den lieben alten Herrn, der uns zu einer Flasche einlud. Ein Mann mit weißen Haaren, den es drängt, seine vergangenen Verdienste abzustauben. Meine jungen Freunde, sagt er, auch ich habe einmal! Ein Mann mit weißen Haaren, so nahe vor der Schwelle des Todes und immer noch, immer noch das Bedürfnis, verehrt zu werden. Wann, fragt man sich, wann werden wir denn reif und frei? Es war ein melancholischer Anblick … Ich kenne einen andern; der erzählt uns of, wie schön es gewesen sei, dies und das, er redet von der Jagd, vom Krieg, der ihn in fremde Länder gebracht, oder von Pferden; er erzählt nicht, wo er rühmlich, sondern wo er glücklich gewesen ist. Und Glücklichsein, das gilt ja nicht als Leistung, die uns Ehre einträgt. Du spürst es: der Mann, der so erzählt, er ruht in seinem Gelebten, im Vollen eines Tuns, das voll genug war, das keiner Ehren bedarf, um ihn zu stillen – seine Haare, wenn er solche noch hätte, wären auch weiß, aber nicht melancholisch.«
»Gewiß nicht.«
»Of schon, nach einer Gesellschaf wie heute, sagte das Gewissen zu mir: Suche den Freund, der Leute schätzen kann, die ihn – und er weiß darum – ihrerseits durchaus nicht schätzen. Das wäre ein Mensch ohne Knacks, zum Beispiel.« »Verstehe –«
»Ich habe ihn gesucht! Aber umsonst, auch in mir selber umsonst. So plump, daß wir jeden, der uns seine Achtung versagt, einfach an den Pranger reißen, so einfach und plump sind wir ja nicht, oder nur selten, nur in den reineren Stunden der Leidenschaf. Was ist es im Grunde schon anderes, daß wir stets die Leute suchen, deren Achtung uns gewiß scheint? Es ist derselbe Kniff, nur feiner; ihm danken wir Zirkel und Zünfe …« Bin hörte zu.
»Das fade Gefühl auf dem Heimweg«, fuhr ich fort, »schon manchmal habe ich versucht, darüber nachzudenken. Noch der größte Narr wird eines solchen Abends erleben, daß sich einer an seinen Tisch setzt, ihm eine gewisse Verehrung anträgt, ganz schlicht und auf eine bestechende Weise verlegen; nämlich er möchte selber geschätzt sein, der andere. Er weiß, wie schwer wir werden widerstehen können, es wird uns schon ordentlich leid tun, ihn klein zu finden oder gar blöd, und es mag sein, daß wir uns jahrelang gegen das Mißtrauen sträuben, das uns über die Schulter grinst: Der Mann, sagt das Gewissen, er schätzt dich zwar nicht aus Kenntnis deiner Person, leider
nicht, sondern aus Bedürfnis, zu schätzen und
geschätzt zu werden, aus einem sehr ehrlichen
Bedürfnis, – der Arme.«
Bin hörte zu, immer noch.
»Oder ist es nicht so?« fragte ich, »alle möchten
geschätzt sein.«
Bin sagt:
»Ich glaube fast, es fehlt euch allesamt ein wenig der liebe Gott, nichts weiter. Nirgends aufgehoben, sehnt jeder sich nach der sicheren Achtung von Seiten der Menschen – so sehr, so dringlich und aufdringlich, daß er alles darüber vergißt, sogar seine natürliche und vorhandene Liebe zu ihnen, das, was ihn allein von seinem dürren Geiz befreite. Ehrgeiz ist ja auch nur ein Geiz, und nichts, da hast du recht, nichts macht uns so einsam voreinander wie unser Ehrgeiz. Es fehlt so ein Ding, das die Achtung wohl aller besäße, eine zweifellose und gemeinsame Achtung für jeden Fall. Dann erst könnten wir wie Männer und freie Geister, nämlich sachlich und liebend, über die Dinge sprechen, sogar über die eigenen … ich glaube wirklich, es fehlt uns nur am lieben Gott.«
Er klopfe wieder einmal seine Pfeife aus, da er das sagte; hinten am rechten Absatz, indem er dazu einen Augenblick stehenblieb. Dann gingen wir weiter.
I ch will nun versuchen zu erzählen, wie es
war, als wir zu den ersten Häusern von Peking
kamen.
Natürlich war es auch Herbst –
Ich hatte noch einmal zurückgehen müssen. Mit Schrecken war mir eingefallen, das Wetter könnte umschlagen, und die Rolle, die ich hinter einem moosigen Stein versteckt hatte, würde naß. Es war immerhin eine sehr wichtige Rolle, wenn man weiß, was für eine Arbeit dahinter steckt! … Auf jeden Fall mußte ich die Rolle wiederhaben. Am Ende, fiel mir ein, kämen noch die Ziegen dazu. – Bin wartete.
Leute kamen des Weges, Gesichter, als wüßten sie nicht, wie nahe am Glück sie
Weitere Kostenlose Bücher