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Bewunderung schien belastbar.
»Schön. Freut mich aufrichtig, dass es Ihnen wieder besser geht. Bunter hat Sie würdig vertreten, so weit mein Eindruck. Diese Geschichte hat im Präsidium ziemlichen Wirbel verursacht. Wie dem auch sei, ich bin der festen Überzeugung, Sie haben völlig richtig gehandelt, draußen auf dem Knell-Gelände, meine ich .«
Wer Sätze mit ›Freut mich aufrichtig‹ begann, der fühlte alles außer aufrichtiger Freude, und ›feste Überzeugungen‹ hatten meist die Konsistenz von hessischem Kochkäse. Rünz versuchte zu übersetzen: ›Ihre Genesung ist mir scheißegal, Bunter macht Ihren Job sowieso besser als Sie, die tote Kollegin passt mir jetzt überhaupt nicht in meine Karriereplanung, wenn Sie nur einen Hauch von Arsch in der Hose hätten, dann wäre das nicht passiert.‹
»Finde ich auch !« , konterte Rünz, nahm sich eine Ecke von der Criollo und begann, lautstark zu lutschen.
»Schmeckt fantastisch, ein bisschen wie die schwarze Herrenschokolade vom Kaufhof, finden Sie nicht? Gibt’s nächste Woche im Angebot, 1,59 Euro für drei Tafeln, plus Payback-Punkte !«
Hoven schaute drein wie ein Yale-Absolvent, dem man einen Job bei McDonald’s angeboten hatte.
»Fühlen Sie sich wirklich fit genug, Ihren Job zu machen? Ich hätte kein Problem damit, wenn Sie erst mal ein paar Wochen in Kur gehen .«
»Topfit«, schmatzte Rünz und grinste ihn an.
Hoven legte nach.
»Ist vielleicht sowieso der richtige Moment für Sie, mal über eine ausgewogene Work-Life-Balance nachzudenken .«
Rünz schaute sich nach Fluchtwegen um. Einen Sprung aus dem zweiten Stock konnte er vielleicht mit einigen Prellungen überstehen.
»So einen Break, wie Sie ihn erlebt haben, sollte man als Turning Point benutzen, um endlich mal etwas downzushiften .«
»Ich könnte zum Wiedereinstieg unten den Parkplatz sauber halten und die Wagen waschen«, sagte Rünz.
Hoven war ein neoliberaler Effizienz-, Dienstleistungs- und Marktideologe, und wie allen Ideologen fehlte ihm jeglicher Sinn für Ironie.
»Sie wissen, dass ich Ihnen den Fall eigentlich nicht übertragen darf. Sie sind befangen .«
»Bedeutet ›eigentlich‹, dass ich mich an die Arbeit machen kann ?«
»Sobald mir ein Whistle-Blower steckt, dass Sie vom Pfad der Tugend abfallen, ziehe ich Sie von der Sache ab .«
Hoven streckte sich, legte die Unterarme auf die cremeweiße Arbeitsplatte, und wie zufällig tauchte seine Vacheron unter dem Ärmel auf. Rünz betrachtete das kleine Meisterwerk aus der Nähe, eine Patrimony Contemporaine in Gelbgold, mit guillochierter Lünette, arabischen Ziffern und Dauphinzeigern. Hoven registrierte mit Genugtuung das Interesse seines Untergebenen. Er fing an zu berichten über die unglaublich wichtigen Gespräche, die er während Rünz’ Krankenhausaufenthalt mit zahlreichen unglaublich wichtigen Menschen in ganz Europa geführt hatte. Wie in Gedanken nahm er dabei seine Uhr ab, legte sie mit der Rückseite nach oben auf den Tisch und rieb sich das Handgelenk, als bereitete ihm das Lederarmband Juckreiz. Rünz hatte durch den Saphirglasboden freien Blick auf das faszinierende Räderwerk eines frisch konstruierten und von Hand montierten Kaliber 2450 vom Genfer See – eine perlierte Platine, die Kanten der Brücken gebrochen und hochglanzpoliert, ausgekehlte Räder, ein rotgoldener Automatikrotor.
Rünz ließ seinen Vorgesetzten ausreden, dann war er an der Reihe. Er hatte sich von Breckers letzter Bildungsreise nach Bangkok eine Rolexkopie mitbringen lassen, aber keine der professionellen Fälschungen, die man nur aus der Nähe als solche erkannte. Brecker hatte ihm für ein paar Hundert Baht eine haarsträubend dilettantisch zusammengeklebte GMT-Master präsentiert, bei der sich schon bei der ersten Anprobe der Minutenzeiger aus der Verankerung löste und unter dem zerkratzten Plastikdeckel herumkullerte. Rünz schlug ein Bein über das andere und verschränkte die Finger vor dem Knie. Hoven starrte auf die Karikatur einer Luxusuhr wie auf Hundedreck an seinen Edelschuhen.
»Wissen Sie, Herr Hoven, eins ist mir während der Zeit im Krankenhaus klar geworden. Ich sollte bei allem, was ich tue, mehr Wert auf Stil legen. Was meinen Sie ?«
Hoven konnte seinen Blick nicht von dem goldlackierten Plastik abwenden, als betrachtete er ein eitriges Furunkel, das jeden Moment aufplatzen konnte.
»Nun ja, ich denke – einen Anfang haben Sie gemacht .«
* * *
Montagmorgen. Seine Frau
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