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Binärcode

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Titel: Binärcode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gude
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anderes als an die zähen Schnitzel auf ihren Tellern, mokierten sich über die Qualität des Kantinenessens und schmiedeten Pläne für die Gestaltung ihrer Schrebergärten im nächsten Frühjahr.
    Er tunkte ein Stück Frikadelle in die Mayonnaise, ließ die Gabel wieder auf den Teller sinken, bevor er den ersten Bissen im Mund hatte. Die chronische Angst vor Übelkeit und Erbrechen schien sich an seinem Astrozytom vorbei wieder ins Bewusstsein zu mogeln. Er empfand die aufkommende Panik fast als beruhigend – selbst von einer Phobie konnte eine tröstende Wirkung ausgehen, wenn sie eine Konstante in unruhigen Zeiten bildete. Er schaute auf die Uhr. Sein Vorgesetzter Hoven hatte zu einer seiner Investigation Conferences geladen, und Rünz hielt es für opportun, sich wieder ins Spiel zu bringen. Er stand auf und brachte sein Tablett zum Förderband.

     
    »… was ich damit sagen will, wir bewegen uns mit unserem Security Portfolio in einem hochperformanten Marktumfeld. Emerging Markets erfordern eine proaktive und hochdynamische Fokussierung der Assets auf die Nachfragesituation .«
    Hoven war in Topform. Rünz’ Vorgesetzter lud zu seinen Conferences inzwischen im vierteljährlichen Turnus ein, nach dem Vorbild der Quartalsberichte großer Aktiengesellschaften. Er hatte sich offensichtlich mit Aufzeichnungen alter Regierungserklärungen von Gerhard Schröder für seine keynote Speech gebrieft – mit einer Hand in der Hosentasche lehnte er überaus entspannt am Rednerpult, die Hüfte lässig abgewinkelt, als sei er nur zufällig für einen kurzen Plausch über den Gartenzaun vorbeigekommen, das rechte Bein über das linke geschlagen und mit der Fußspitze auf den Boden gestellt. Den Oberkörper hatte er mit einem Ellenbogen auf die Holzplatte gestützt, mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger der erhobenen Hand einen imaginären Diamanten im Licht drehend, der die Brillanz und Präzision seiner Analysen unterstrich.
    »Damit wir uns richtig verstehen – wir stehen im Wettbewerb! Und dieser Wettbewerb fordert von uns einen Paradigmenwechsel .«
    Gelassen ließ er die Provokation im größtenteils verbeamteten Auditorium nachwirken.
    »Unsere Competitors sind gut aufgestellte Security & Safety Agencies, die aggressiv Marktnischen besetzen. Wir werden unsere Synergiepotenziale voll ausschöpfen müssen, und dazu werden wir hochintegrierte Module implementieren, die ein effizientes Knowledge Management gewährleisten !«
    Hoven drehte den Luftdiamanten und ließ den Ärmel seines Jacketts wie unbeabsichtigt ein paar Zentimeter hochrutschen. Rünz entdeckte einen neuen Zeitgeber am Handgelenk seines Vorgesetzten. Die extravagante Luminor Sealand von Panerai war einer klassischen Vacheron Constantin gewichen, soweit das aus einigen Metern Entfernung zu erkennen war. Jeder hergelaufene Parvenü hätte sich für eine seriösere Ausstrahlung mit einer Patek Philippe zufriedengegeben, aber Hoven brauchte es grundsätzlich etwas exklusiver. Es machte alles in allem den Eindruck, als arbeitete er an einem Relaunch seines persönlichen Corporate Designs, weg von einer enervierend spätjuvenilen Westerwelligkeit, hin zum reiferen und arrivierteren Auftritt des Elder Statesman. Für Rünz war und blieb er ein Blender oder, um in Hovens Idiom zu bleiben, ein ›pain in the ass‹.
    Bunter und Wedel saßen in der Reihe vor Rünz und machten sich permanent Notizen. Die beiden vertrieben sich die Zeit bei Hovens Vorträgen mit einer weiterentwickelten Version des alten Bullshit-Bingo . Auf Vordrucken hatten sie Dutzende von Hovens Lieblingstermini und -anglizismen aufgelistet und hakten sie ab, sobald er einen benutzte. Am Ende wurde ausgezählt – wer die meisten mitbekommen hatte, strich den Geldeinsatz ein. Das Ganze basierte natürlich auf Vertrauen und führte regelmäßig zu Reibereien. Natürlich konnte auch vorher auf die Verwendung bestimmter Begriffe gewettet werden. Sie spielten oft mit horrenden Einsätzen, und wenn Rünz ab und an mitmachte und erfolgreich auf einen elaborierten Exoten wie ›ressourcen-leverage‹ 50 Euro setzte, konnte er schon mal mit dem vierfachen Einsatz nach Hause gehen.
    »… und den Workflow kompromisslos auf ein professionelles Customer Relationship Management hin ausrichten. Wenn wir uns auf dieser Bottom Line committen, dann sind wir einen entscheidenden Step ahead .«
    Zieleinlauf. Das Publikum applaudierte reserviert und ehrfürchtig. Hoven hatte im Präsidium das ideale Auditorium für

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