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Titel: Binärcode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gude
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sein Metagelaber aus dem Begriffs- und Anglizismenbaukasten von PR-Strategen, Coaches, Corporate Communication Managers, Pressesprechern und Consultants – die Belegschaft hatte wenig Affinität zur Businesswelt, niemand verstand, was er sagte – und vor allem bemerkte keiner, dass er eigentlich überhaupt nichts sagte.

     
    »Bingo«, rief Wedel etwas zu laut, Hoven blickte verstört herüber.
    »Lass mal sehen«, sagte Bunter und zog Wedel die Liste aus der Hand.
    »›Supply Chain‹, ›Human Resources‹, ›Total Quality Management‹ – willst du mich verarschen? Hoven hat nichts davon verwendet .«
    »Du musst mal richtig zuhören, altes Nordlicht. Dir geht ja die Hälfte durch die Lappen .«
    Wedel hatte recht , Bunter war ein schlechter Verlierer, aber Rünz beschloss, sich nicht einzumischen. Er stand auf, den Rest seines letzten Krankentages wollte er eigentlich zu Hause verbringen. Hoven bemerkte ihn, als er vom Rednerpult herabstieg, und gab ihm per Handzeichen zu verstehen, dass er ihn in seinem Büro erwartete.

     

     
    * * *

     

     
    Cheftermine hatten für Rünz immer etwas Beunruhigendes. Er war ein Meister der Verdrängung. Stets schob er einen ganzen Güterzug unerledigter Sonderaufgaben, ungeklärter Konflikte und nicht abgeschlossener Berichte, Protokolle und Abrechnungen vor sich her und wunderte sich jedes Mal, wenn Hoven ihn bei einer Besprechung deswegen nicht in den Senkel stellte. Aber dieser Narziss war einfach zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Jeder Businesscoach hätte Rünz dringend empfohlen, diese Altlasten abzuarbeiten, seinen Tisch aufzuräumen, um neue Kreativität und Energien freizusetzen. Er aber hatte mit solchen Strategien nur schlechte Erfahrungen gemacht. Einige Jahre zuvor hatte er sich einmal überwunden und die Halde auf seinem Schreibtisch abgetragen – prompt hatte er seinem natürlichen Angstpotenzial die gewohnte Nahrung entzogen und eine paranoide Furcht vor Katastrophen entwickelt. Klimaerwärmung, Überalterung, Asteroiden, Vogelgrippe, Globalisierung, China, die Magmablase unter dem Yellowstonepark – nie zuvor waren ihm Bedrohungen aus der unbekannten Zone jenseits der Stadtgrenzen Darmstadts so unheimlich vorgekommen. Sofort fiel er zurück in seinen alten Arbeitsmodus und hatte innerhalb weniger Wochen wieder einen kleinen Stapel unerledigter und unangenehmer kleiner Aufgaben auf dem Tisch, die er jeden Tag verdrängen musste. Letztlich schützten die kleinen Alltagsprobleme zuverlässig vor den globalen Gefahren, gegen die man ohnehin nichts ausrichten konnte.

     
    »Einen Moment noch bitte, ich bin gleich für Sie da, Herr Rünz .«
    Hoven tippte auf der Tastatur seines MacBooks herum, wahrscheinlich ein paar sinnlose Zeichen, nur um geschäftig zu wirken und seinen Befehlsempfänger einige Minuten warten zu lassen. So konnte er die Rangfolge im Rudel noch einmal klarmachen. Rünz schaute sich im Zimmer um. Hoven hatte eine neue Strategie, was die Auswahl der Kunstreproduktionen an den Wänden seines Büros anging. Dem fachlichen Urteil seiner angeheirateten Baronesse schien er nicht mehr zu trauen, er hielt sich jetzt einfach an die Gewinner des britischen Turner Prize, damit konnte man nicht viel falsch machen. In dieser Saison hingen Werke von Tomma Abts, abstrakte Vektorgrafiken in Öl auf Leinwand, die Rünz an Designentwürfe des VEB Innendekor Chemnitz aus den 70er-Jahren erinnerten.
    Auf der cremeweißen Arbeitsplatte lag eine angebrochene Tafel Edelschokolade, Hoven lutschte auf einem Stück herum wie auf einem Bonbon.
    »Möchten Sie ein Stück? Eine Criollo, über 80 Stunden conchiert. Hören Sie mal, das Bruchgeräusch …«
    Er knickte einen Riegel ab und zeigte Rünz die Bruchflächen.
    »Ein sauberer, kurzer Knacks, glatte Kanten, keine Krümel. Wichtiges Qualitätskriterium.«
    »Wirklich beeindruckend«, gestand Rünz.
    Es gab wahrscheinlich keinen Upperclass-Trend, für den sich Hoven zu schade war. Rünz hatte im Rollcontainer unter seinem Schreibtisch noch irgendwo ein ranziges altes Snickers herumliegen, er beschloss, den Schokoriegel bei der nächsten Besprechung mitzubringen.
    »Wie fanden Sie meinen Vortrag ?«
    »Nun, ich finde Sie bringen richtig neuen Wind in den Laden .«
    Rünz dachte dabei an die Brise, die zuweilen von den Jauchegruben Odenwälder Schweinemastbetriebe herüberwehte. Er sorgte sich einen Moment, ob er vielleicht zu dick aufgetragen hatte mit seiner Schleimerei, aber Hovens Empfänglichkeit für

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