Binärcode
der inneren Planeten des Sonnensystems am 16. Januar 2006. Hier sind wir, Venus und Merkur ungefähr in unterer und oberer Konjunktion zur Erde, Mars und Rosetta querab dazu .«
Er ritzte eine Gerade über den ganzen Metallkasten, die die Sonne mit dem Satelliten verband, und setzte jenseits der Rosetta-Bahn einen weiteren Punkt auf die Linie.
»Und hier ist Ida. Zu keinem Zeitpunkt des ganzen zehnjährigen Fluges wird Rosetta diesem Asteroiden wieder so nahe kommen. Verstehen Sie jetzt? Ich hatte mich geirrt, den Uplink hat er gar nicht benutzt, er hat keine Daten hochgeschickt. Als Abhörmikrofon hat er Rosetta benutzt, wie ein verwanztes Telefon. Er wollte von Beginn an nichts anderes, als Ida und seinen kleinen Trabanten abhören. Seine Arbeit in Turin, die Entwicklung der High Gain Antenna und des Deep Space Transponders – er hatte von Anfang an kein anderes Ziel, es war der Masterplan seines Lebens. Irgendwann, vor vielen Jahren, muss er bei seinen Recherchen auf einen Hinweis gestoßen sein, eine Spur, die ihn zu diesen beiden Asteroiden führte .«
»Aber das passt nicht zusammen, die Route, die Rosetta jetzt fliegt, war doch Plan B. Der Start wurde um über ein Jahr verschoben, ein anderes Ziel anvisiert, eine neue Bahn berechnet .«
Stadelbauer raufte sich verzweifelt die Haare.
»Das fehlende Puzzlestück, genau. Der ursprünglich geplante Flug zum Kometen Wirtanen hätte ihn nicht nahe genug an diesen Asteroiden herangeführt. Er konnte doch nach so viel Vorarbeit nicht auf den Zufall vertrauen, auf einen technischen Defekt, der ein Alternativszenario notwendig machte .«
»Vielleicht hat er dem Zufall etwas nachgeholfen, mit einer Harpune .«
* * *
»Was geht hier eigentlich ab, wollt ihr mich verarschen ?«
»Jetzt zeig uns doch erst mal, was ihr rausgefunden habt !«
»Ich will zuerst wissen, was hier gespielt wird. Für wen arbeitet ihr eigentlich ?«
»Das sind ganz normale Ermittlungen in einem ganz normalen Mordfall, das Opfer war ein Freund von mir. Wo ist das Problem ?«
»Wo das Problem ist? Vor einer Woche schickt ihr mir ein paar DVDs mit Daten, die dein ›Kommissar‹ hier angeblich auf zwei Dutzend RFID-Chips gefunden hat. Ich arbeite mit ein paar Freunden dran, wir finden einige sehr interessante Sachen raus, und vorgestern steht hier plötzlich eine Delegation vom ESOC, zusammen mit unserem CEO und so einem kleinen Giftzwerg vom Bundesgerichtshof. Die drücken uns ein paar Datenträger in die Hand und stellen mal eben unser ganzes Forschungsprogramm auf den Kopf, sagen was von oberster Priorität, wir sollen alle anderen Projekte zurückstellen und uns ausschließlich um das hier kümmern. Und das Ganze ist natürlich strictly confidential. Und jetzt rat’ mal, was der Unterschied ist zwischen beiden Files? Es gibt keinen. Diese hohen Tiere beauftragen uns mit der Analyse von Daten und wissen nicht, dass ihnen so ein südhessischer Schimanski-Klon ein paar Tage zuvorgekommen ist. Ich will dir mal was sagen, dein Freund hier ist auf einem Philip-Marlowe-Trip, der macht Privatermittlungen, von denen seine Vorgesetzten keine Ahnung haben .«
Rünz hatte Stadelbauers Diskussion mit dem IT-Nerd schweigend verfolgt. Sie standen im Foyer des Instituts für Graphische Datenverarbeitung in der Rundeturmstraße. Er starrte die ganze Zeit auf ein Oberlicht, direkt hinter dem Fenster sah er im Freien die Reste einer alten Natursteinmauer, angestrahlt von Scheinwerfern wie die denkmalgeschützten Fragmente einer mittelalterlichen Festung. Erinnerungen aus seiner Kindheit blitzten auf, an die abweisende, schmutzige Fassade des alten Stadtgefängnisses, in dem bis in die 70er-Jahre Untersuchungshäftlinge eingesessen hatten. Erinnerungen an Erzählungen seines Vaters, über Kolonnen bewachter Gefangener, die in der Innenstadt die Straßen kehren mussten.
»Sie denken doch sicher auch manchmal schneller als Ihr Chef, oder ?« , sagte Rünz. »Glauben Sie mir, ich stehe in engem Kontakt mit Herrn Klöber vom BGH, wir ziehen an einem Strang. Aber wenn die Dinge drunter und drüber gehen, dann kann es schon mal passieren, dass die Rechte nicht weiß, was die Linke tut, und Arbeiten doppelt erledigt werden. Wichtig ist doch, was hinten rauskommt .«
Werner schaute ihn misstrauisch an. Rünz’ Auftritt, seine nassen, dreckigen Kleider und der Blutschorf in seinem Gesicht, waren nicht geeignet, seine Vorbehalte zu entkräften.
»Der einfachste Weg ist – Sie zeigen uns
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