Binärcode
Ihre Ergebnisse, ich unterrichte Klöber, und Sie haben den Giftzwerg nicht mehr im Haus. Aber ich kann verstehen, wenn Ihnen der formelle Weg sicherer erscheint, das Ganze läuft schließlich top secret .«
Rünz zog sein Handy aus der Manteltasche.
»Vielleicht rufe ich ihn besser an, in anderthalb Stunden kann er sicher hier sein, wenn er sich direkt ins Auto setzt .« Er fing an, in seiner Nummernliste zu blättern und hielt sich das Gerät ans Ohr. »Gott, hoffentlich kriegt dieser kleine Choleriker nicht wieder einen von seinen Anfällen …«
»Warten Sie«, sagte Werner.
Der Nerd redete ununterbrochen, während er die beiden durch das Treppenhaus des Neubaus führte.
»Das Wichtigste erst mal vorneweg. Stark komprimiert ist das ganze Paket, auf acht Gigabyte, mit einem ganz primitiven Algorithmus. Wenn man das auspackt, werden daraus mehrere Terabyte! Und warum lässt sich das so einfach so stark komprimieren? Weil der Code extrem monoton aufgebaut ist. Da kommen ein paar Hunderttausend Nullen, dann mal ein paar Tausend Einsen, dann wieder 200 000 Nullen. Und alles in annähernd redundanten Sequenzen, die nur geringfügig voneinander abweichen. Zum Teil wiederholt sich alles, als hätte man einige Zeit lang eine Nachricht mitgeschnitten, die in einer Endlosschleife gesendet wird.«
Er stieß eine Schwingtür auf, und was Rünz sah, hätte Hoven wahrscheinlich einen Exzellenz-Cluster genannt – gut zwei Dutzend junge Menschen aller Nationalitäten, wie Broker in einem Frankfurter Bankenturm an Arbeitsplätzen mit jeweils zwei oder drei riesigen Displays vor den Augen. Sie tippten, diskutierten spanisch, englisch, deutsch, führten Videokonferenzen mit weiteren jungen Menschen, die an irgendwelchen Orten rund um den Erdball in ähnlichen Räumen vor ähnlichen Displays saßen. Die Deckenbeleuchtung war ausgeschaltet, das fahle Licht der Monitore gab den IT-Experten eine ungesunde, blassblaue Gesichtsfarbe, aber keiner zeigte Müdigkeitserscheinungen, alle wirkten hochkonzentriert und hellwach. Werner machte eine kurze Vorstellungsrunde.
»Jens Bohner von unserer IGD-Niederlassung in Rostock, Kim Shima von der CAMTech in Singapur, Sofia und Marisa Silva, beide vom Centro de Computação Gráfica in Portugal, Pete Jenkins kommt von der IMEDIA Academy in Rhode Island, dann haben wir Helen Bancroft von den Media Laboratories in Nebraska und Javier Jimenéz vom VICOMTech in San Sebastián. Der Kleine drüben mit der Datenbrille ist Ken Cheong vom Institute for Graphic Interfaces in Seoul. Wir haben im Moment weltweit noch rund 30 Leute in den Instituten des INI-GraphicsNet dazugeschaltet, hier laufen alle Fäden zusammen .«
Werner ließ sich an einem unbesetzten Arbeitsplatz in den Bürostuhl fallen.
»Zum Glück mussten wir nicht bei Null anfangen. Vor ein paar Jahren haben wir schon mal ein animiertes 3D-Modell des Sonnensystems gebaut, ein virtuelles Planetarium, auf dem Programmkern konnten wir aufbauen. Ken, are you all set ?«
»Won’t take long, just a few minutes«, rief der Koreaner.
»Haben Ihre Auftraggeber von der ESA die Ergebnisse schon gesehen ?«
»Den ESOC-Leuten kam es nur auf den Komprimierungs-Algorithmus an. Das hier mit dem virtuellen Planetarium ist ein Spaß, den wir uns gönnen .«
Er wurde einen Moment ernst.
»Die dürfen auf keinen Fall rauskriegen, dass wir noch mit diesen Daten herumspielen, sonst machen sie uns einen Kopf kürzer .«
Seine Gewissensbisse schienen sich schnell wieder zu verflüchtigen.
»Genial an diesem Signal ist das, was es nicht ist – keine Schrift, keine codierten mathematischen Symbole oder Funktionen – also auch keine aufwändige Entschlüsselung. Es ist intergalaktisches Fernsehen! Zeilenweise aufgebaute Bilder, rund 100 000 Bits pro Zeile und 100 000 Zeilen pro Bild, jeweils abgeschlossen mit Pi, binär codiert auf 20 Nachkommastellen, dem Signal für den Zeilenwechsel. Kosmisches HDTV. Und am Ende der letzten Zeile, wenn das erste Bild komplett aufgebaut ist, die elf. Beim nächsten Bild die 23, dann die 29, dann die 37 und die 41 – Primzahlen! Jeder Bildwechsel wird durch eine Primzahl markiert .«
Werner redete und gab gleichzeitig in irrwitzigem Tempo Programmzeilen in seine Tastatur ein, er war definitiv multitaskingfähig. Stadelbauer schien vor Begeisterung zu dampfen, Rünz verstand überhaupt nichts und fühlte sich wie das letzte Exemplar einer aussterbenden Rasse.
»Warum fängt es nicht mit der kleinsten Primzahl an
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