Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Binde Deinen Karren an Einen Stern

Binde Deinen Karren an Einen Stern

Titel: Binde Deinen Karren an Einen Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Lukas
Vom Netzwerk:
ursächlichen Deutung auch sonstiger Probleme herangezogen wird, beweist die Übertragung ihrer „Laienätiologie“ auf andere Personen, im Text auf ihre Mutter. Denn gemäß diesem Schema litt auch ihre Mutter primär an
Milieufaktoren
in Form unerfreulicher mitmenschlicher Aktionen:
    a) Die Gesetzeslage für Lehrer in den 30er-Jahren brachte sie in eine unglückliche Situation.
    b) Die Ärzte versagten bezüglich des Auftrages, sie von der Schwangerschaft zu befreien.
    c) Die Eheschließung mit dem Mann machte sie krank und führte zu ihrem frühen Tod.
    Das Interpretationskonzept der Patientin lässt sich auf einen einfachen Nenner zurückschrauben: Dem Menschen geht es so gut, wie es die Milieufaktoren (im Gewand seiner Mitmenschen) zulassen. Oder ichhaft ausgedrückt: „Mein Glück und mein Wohlbefinden liegen in der Hand anderer, werden von anderen Menschen bestimmt.“ Es leuchtet ein, dass ein solches Selbstverständnis an und für sich
ein ganz und gar Angst erzeugendes
ist! Wer sich als hilfloses Opfer seiner Mitwelt fühlt, abhängig von deren Gunst, ausgeliefert an deren „Gnade“, und in seinem Gesundheits- oder Krankheitszustand von ihr bewirkt und bedingt, muss ständig um sein Leben bangen. Ja, das Bangen um das eigene Leben wird noch dramatisiert durch die vermeintliche Ohnmacht, etwas zum Schutz oder zur Veränderung des eigenen Lebens tun zu können. Das heißt, es ist keine abwegige Idee,
fachätiologisch
die Hauptursache der Urangst dieser Patientin in ihrem deterministischen und auf äußere Belastungsfaktoren festgelegten Selbstverständnis zu sehen, anstatt in den traurigen Umständen ihrer Embryonalphase.
    Dass nicht die realen Tatsachen allein, sondern unsere Auffassungen von diesen Tatsachen entscheidend sind, wussten schon die griechischen Philosophen des Altertums, allen voran Epiktet, von dem entsprechende Texte überliefert sind. Im Falle der zitierten Patientin hätte ein andersartiges Selbstverständnis (siehe unten) zu einem durchaus unterschiedlichen Interpretationskonzept bezüglich ihrer vorliegenden Symptomatik geführt. Der springende Punkt ist jedoch, dass es möglicherweise
zu gar keiner Krankheitssymptomatik
bei ihr geführt hätte, sondern zu einer Deutung ihres Werdeganges im Positiven, ja, zu einem Gefühl metaphysischer Geborgenheit:
    a) Nicht einmal medizinische Eingriffe an ihrer Mutter haben ihr den gesunden Weg ins Leben verwehrt.
    b) Obwohl ihre Mutter in einer schwierigen Lage war, hat sie sie nach der Geburt sehr geliebt.
    c) Auch der Vater ist zur Familie gestanden und hat seine Tochter als Tochter anerkannt.
    d) Von den pädagogischen und musikalischen Fähigkeiten ihrer Eltern durfte sie profitieren.
    e) Die oft ausgesprochenen Warnungen der Großmutter haben sie vor Leichtsinn bewahrt.
    f) An der Erkrankung und dem frühen Tod ihrer Mutter ist die Tochter seelisch gereift.
    Ein solches Interpretationskonzept hätte, auf einfachen Nenner gebracht, ausgesagt:
Das Leben ist trotz mancher Härten unwahrscheinlich gut.
Oder ichhaft ausgedrückt: „Für mich und meinen Lebensweg ist gesorgt, selbst wenn mir Hindernisse in den Weg gelegt werden.“ Wiederum leuchtet ein, dass dieses Selbstverständnis geradezu
ein Gegengift gegen aufkeimende Ängste
darstellt! Wer davon ausgeht, dass er getragen, gehalten und bewahrt ist, und zwar gegebenen widrigen Umständen zum Trotz, fühlt sich alsbald motiviert, etwaige düstere Gedanken über jene Umstände zu verabschieden und sein Leben schwungvoll in die Hand zu nehmen. Er versteht sich nicht als hilfloses Opfer, der Gunst anderer ausgeliefert, sondern er lebt im Gegenteil aus einer Gunst heraus, die ihm keiner rauben kann, und die ihn befreit zur Übernahme von Eigenverantwortung. Mit anderen Worten, würde die Patientin ihr Selbstverständnis und in der Folge ihr Interpretationskonzept über ihr Sein und Willkommen-Sein in der Welt wechseln, würde sie aus der Urangst auftauchen und eintauchen ins Urvertrauen, und dies unabhängig von ihrer Vorgeschichte. Würde – in Umkehrung des Frankl-Wortes, dass der verdrängte Glaube leicht in einen Aberglauben ausartet – ihr „Aberglaube“ an die Macht äußerer Einflüsse und mitmenschlicher Destruktionskraft schrumpfen, würde sich ihr Glaube an die eigene ihr offen stehende und unbehindert zugängliche Entfaltungskraft wieder erholen.

Wie gravierend ist ein Trauma?
    Allgemein lässt sich festhalten: Wer schlechte Erfahrungen gemacht hat, hat zugleich die gute

Weitere Kostenlose Bücher