Binde Deinen Karren an Einen Stern
gar nicht gewusst werden kann, und das folglich auch nicht von Generation zu Generation weitergegeben werden kann. Gleichzeitig wäre es ein sehnsuchtsvolles Ahnen von etwas, das emotional nicht recht einzuordnen ist, weil es sich niemals vollkommen decken würde mit zwischenmenschlich erfahrbarer Nähe und Wärme und Güte. Als geistiger Bezug überschritte es rationale und emotionale Limits und könnte rational und emotional auch nur limitiert vermittelt werden.
Aus dem Gesagten geht hervor, dass Urvertrauen nach logotherapeutischer Doktrin
nicht
als ein im Laufe des Lebens erworbenes Vertrauen zu anderen Menschen definiert wird, dessen Vorhandensein und Stärke damit steht und fällt, wie vertrauens-würdig sich solche andere Menschen, denen jemand begegnet ist, von Anfang an erwiesen haben. Auch wird es
nicht
definiert als die Internalisierung dessen, was andere Menschen einem selbst von Anfang an zugetraut haben. Vielmehr ist es ein Vertrauen, das sich aus der Welt (und durch die mitmenschliche Welt hindurch) in eine „Überwelt“ hinein richtet, aus der her eine Person sich angenommen weiß und fühlt – und gäbe es keinen einzigen Menschen, dem zu vertrauen sie Grund hätte, und gäbe es keinen einzigen Menschen, der ihr vertraute! Aus diesem Blickwinkel heraus reduziert sich die Bedeutung von Milieufaktoren, die den Zugang zu ursprünglichen Bezügen verschüttet haben mögen, und es intensiviert sich die Bedeutung jener ursprünglichen Bezüge, die ein Leben lang latent vorhanden bleiben und in einem geistigen Ringen wieder reaktiviert werden können.
Kurzum, die Logotherapie geht von einem Urvertrauen aus, das
stets rückgewinnbar ist, weil es niemals fehlen kann, sondern höchstens verloren worden sein kann
– was entsprechende Konsequenzen für die praktische Arbeit mit pessimistisch angstbesetzten Personen hat. Für die angewandte Psychotherapie bedeutet es, dass die Erforschung sekundärer Belastungsfaktoren auf einen Nebenschauplatz verschoben wird, wohingegen die Frage ins Rampenlicht rückt, wie und mittels welcher Hilfen die Verstellung des Primären durch sekundäre Geschehnisse wieder rückgängig gemacht werden kann.
Verschiedene Interpretationskonzepte
Zur Erörterung der praktischen Handhabung einer Vertrauenskrise in Franklscher Perspektive sei ein Ausschnitt aus einer Patientenniederschrift vorgelegt:
„Bei allem, bei dem etwas passieren könnte, habe ich Angst um mein Leben. Nach dem Motto: ‚Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um.‘ So sagte immer meine Großmutter. Vielleicht ist die Ursache auch darin gelegen, dass meine Mutter, getrieben von Zukunftsangst und Scham, versucht hat, mich abzutreiben. Mehrere Ärzte sollen es versucht haben, doch es gelang nicht. Wie ich hörte, soll ja schon der Embryo Abwehrbewegungen machen; die Urangst bleibt dann bestehen. Meine Mutter war Lehrerin und durfte laut Lehrerzölibat (30er-Jahre!) nur wieder einen Lehrer heiraten. Mein Vater war aber ein brotloser Berufsmusiker. Sie hätte ihren Arbeitsplatz aufgeben müssen, um ihn zu heiraten. Und die Schande eines ledigen Kindes hätte man keiner Lehrerin damals verziehen … Sie hat dann doch, weil ich nicht wegzukriegen war, meinen Vater geheiratet und mich sehr geliebt. Durch die Not und die Entbehrungen bekam sie TBC und starb mit 35 Jahren, die Ärmste.“
Unterziehen wir diesen Textausschnitt einer professionellen Kommentierung:
Die Patientin deutet in ihrer Niederschrift an, dass sie unter starken Ängsten leidet, unter Lebensängsten. Offenbar merkt sie selbst, dass sie seelisch labil ist. Daraufhin setzt bei ihr ein, was normalerweise bei jedem einsetzt, der sich mit einer Notlage konfrontiert findet: sie sucht nach den Ursachen ihres Problems. Sie entwickelt, was man in der Fachsprache eine „Laienätiologie“ nennt, nämlich ein Interpretationskonzept zur Erklärung des Zustandekommens ihrer Schreckbarkeit und Hypersensibilität. Beachtenswert ist, worauf sie ihre Aufmerksamkeit lenkt und welche Elemente sie zur Begründung ihres Problems auswählt. Der Text informiert uns darüber, dass derartige Elemente für sie vorrangig
Milieufaktoren
in Form unerfreulicher mitmenschlicher Aktionen sind:
a) Die Großmutter hat ihr während der Kindheit ein Angst einflößendes Motto überliefert.
b) Die Mutter hat mit Hilfe mehrerer Ärzte verzweifelt versucht, sie abzutreiben.
Wie sehr das Interpretationskonzept der Patientin für sie Allgemeingültigkeit hat, also gleichsam zur
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