Binding, Tim
gesprochen,
die zur fraglichen Zeit da waren. Offenbar hat eine Frau in einem Tretboot
gewartet. Großer weißer Hut, wie der hier, große Sonnenbrille, ein bisschen á
la Audrey Hepburn.«
»Diese Hüte sind sehr verbreitet. Wenn Sie jede Person beschuldigen
wollen, die so einen hat, dann ...«
»Ich weiß. Ich habe voreilige Schlüsse gezogen, das war
falsch. Ich hab auch ein richtig schlechtes Gewissen, Al darf ich Sie Al
nennen? -, dass ich an Ihrer Aufrichtigkeit gezweifelt habe, ausgerechnet bei
einem Mann, der sich genauso für Karpfen begeistert wie ich. Wenn ich das irgendwie
wiedergutmachen kann ...«
Ich führte ihn zurück ins Haus, machte ihm eine Tasse Tee,
gab ihm einen Keks. Er saß auf dem Sofa wie ein schlaffer Ballon.
»Nur interessehalber, haben Sie irgendwem bei der Polizei
von Ihrem Verdacht erzählt?«
»Das ist ja eines der Dinge, die mich etwas aus der Bahn
geworfen haben. Es ist nämlich ein bisschen schwierig für mich, zur Polizei zu
gehen.«
»Ich versteh nicht. Sie sind doch die Polizei.«
»Ich spreche von meinen Vorgesetzten, meinen Kollegen. Die
Sache ist die, ich hätte in den letzten paar Tagen eigentlich zu einem
Lehrgang gemusst. Aber ich hab mich krankgemeldet. Gesagt, ich hätte mir eine
böse Grippe eingefangen.«
»Sie waren zu Hause, als die Sache passiert ist?«
»Nein. Ich war tatsächlich auf einem Lehrgang, aber auf
keinem von der Polizei. Auf einem Seminar in Nottingham. Moderne
Koizuchtmethoden. Dr. Wang war dort.«
Er sah meinen verständnislosen Gesichtsausdruck.
»Dr. Wang ist der Experte
für Koi-Fortpflanzung, Al. Nahrung, Temperatur, Umgebung, das alles spielt
eine Rolle, genau wie bei uns Menschen, aber Karpfen können sich überflüssiges
Brimborium wie Gespräche oder Geschenke, Blumen, Pralinen, den ganzen Quatsch
sparen. Laut Dr. Wang bewirkt ein tägliches Zusatzfutter aus Avocado und Wassermelone
wahre Wunder bei der männlichen Fruchtbarkeit. Mit einer zweiwöchigen
Intensivbehandlung lässt sich die Spermienzahl kolossal erhöhen.«
Klang interessant.
»Wissen Sie, ob das auch bei Menschen funktioniert?«,
fragte ich. Ich hatte nicht vor, mich ihr aufzudrängen, aber wenn ich mich
geschickt anstellte, stand mir womöglich ein anstrengendes Wochenende bevor.
Er verstand nicht. »Ich habe keine Ahnung. Aber Dr. Wang
verfügt über eine Fülle derartiger Erkenntnisse. Ich hab mich anschließend mit
ihm unterhalten. Charmanter Mann, obwohl er Japaner ist. Er hat mir seine Karte
gegeben. Sehen Sie mal.«
Ein Schwarz-Weiß-Foto starrte mich an, große Glupschaugen,
fleckige Alkoholikerhaut, Lippen wie ein Kamel mit Erdnussallergie.
»Hässlicher Bursche, was?«
Er riss mir die Karte wieder aus der Hand. »Das ist nicht
Dr. Wang. Das ist sein berühmter scharlachroter Koi, über einhundertfünfzig
Jahre alt, einer der ältesten Karpfen der Welt. Ich hab immer gedacht, Mutter
Teresa könnte ihm altersmäßig Konkurrenz machen, bei ihrem Hintergrund. Nicht,
dass ich das noch erleben würde, klar. Aber diese Entführung könnte alles
verändern.«
Er blickte wieder durchs Fenster in Richtung Teich. Er
hatte nicht alle Tassen im Schrank, aber wissen Sie was, er tat mir richtig
leid. Ich hatte Torvill und Dean nicht mehr, aber dafür hatte ich jetzt Carol,
ich hatte die Erinnerungen an Miranda, und mit ein bisschen Glück hatte ich
bald Emily. Es hatte mal eine Zeit gegeben, als ich so war wie er, als ich nur
meine Fische hatte, als sie alles waren, wofür ich lebte, das und ein bisschen
saisonales Rumgevögel irgendwo Richtung Weymouth. Das hatte mich ja überhaupt
erst dazu getrieben, Audrey von einer Klippe stoßen zu wollen, schätz ich. Ich
kannte dieses leere Gefühl, als wäre dein Blut so kalt wie das der Fische,
deine Augen genauso starr.
»Hören Sie«, sagte ich. »Ich werde Ihnen helfen, wenn ich
kann. Vielleicht komm ich demnächst mal abends vorbei, kuck mir den Film an. Es
ist gestern passiert, sagten Sie.«
»Am Nachmittag, glaub ich. Um die Zeit, als Sie in der
Nähe waren. Deshalb dachte ich ja ...«
»Schon gut. Fangen wir nicht wieder davon an. Ich wollte
einfach nur einen Ausflug machen, ein bisschen Boot fahren mit Carol, ein
bisschen was für die Vater-Tochter-Beziehung tun. Hätte ich auch, wenn es da
nicht zu diesem Streit mit...«
Ein kleiner Gedanke hatte sich in mein Herz geschlichen.
Ich konnte spüren, wie es sich freute. »Sie können übrigens wirklich etwas für
mich tun. Kann ich mal die Kopie von der
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