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Binding, Tim

Binding, Tim

Titel: Binding, Tim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischnapping
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ersichtlichen Grund in
einem mobilen Kindergarten angeschnallt worden. Michaela Rump stand am Tor zu
unserem Vorgarten, marineblaue Bluse und passende Jacke, weiße Bordüre um die
Revers, Ohrringe von der Größe eines Ein-Mann-Kanus. Sie lehnte gerade
irgendwas gegen die andere Seite der Hecke, als sie Carol erspähte. Sie erstarrte,
die Augen gebannt auf den Hut auf Carols Kopf gerichtet. Carol tat es ihr
gleich, und ihre Augen pendelten von einem Kanu zum anderen, als würde sie bei
einem Tennismatch zuschauen. Sie warfen mir beide einen Blick zu, machten dann
weiter im Text, und jede fragte sich, was los war. Mein Kopf fing wieder an zu
pochen. Ich fragte mich auch, was los war.
    »Carol. Ich möchte dich meiner neuen Nachbarin vorstellen,
Michaela Rump.«
    »Wir sind uns schon begegnet«, sagte Carol, fast ohne die
Lippen zu öffnen. Keine von beiden rührte sich.
    »Das gibt's doch nicht, tatsächlich? Die Welt ist wirklich
ein Dorf, was?«
    »Australien, Dad. Ich wohne da, falls du's vergessen hast.
Wir hatten Brunos Eltern an einem Sonntag zum Essen zu uns eingeladen, um ihre
Silberhochzeit zu feiern. Mum erschien unangekündigt, auf einem Tandem, Mrs
Rump saß hinten. Sie hatten beide T-Shirts an, mit so Sprüchen vorne drauf.«
Sie starrte noch immer. Michaela rümpfte die Nase, schnaufte.
    »Ach ja? Was denn für Sprüche?«
    »Auf ihrem stand: Olympische Radler tun's einmal alle vier
Jahre. Auf Mums stand: Bungee-Springer kriegen nie genug.«
    »Ich wette, das hat den Grill zum Brutzeln gebracht«, warf
ich ein. »Und jetzt sind wir hier, alle drei, verbunden durch die Elastizität einer
einzigen Frau.«
    Carol verlagerte das Gewicht auf ihr Holzbein.
    »Sind Sie hergekommen, um Ihren Vater zu beglückwünschen
oder um Ihre Mutter zu bemitleiden?«, fragte Michaela.
    »Weder noch. Ich bin hier, um einem Mann, der mir einmal
sehr viel bedeutet hat, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Er hieß Robin. Er
war mein Verlobter. Er ist von einem Berg gestürzt.«
    Michaelas Gesicht nahm einen richtig mitfühlenden Ausdruck
an. Ich kaufte ihn ihr keine Sekunde lang ab.
    »Ja, ich glaube, ich erinnere mich, dass Audrey mir davon
erzählt hat, als wir an dem Nachmittag mit dem Tandem gekommen sind, und dass
sie mir eingeschärft hat, die Sache nicht anzusprechen, damit der werte Gatte
nicht eifersüchtig wird und so. Männer möchten nicht unbedingt en detail wissen,
wer vor ihnen da war, nicht? Vor allem Ausländer nicht. Er wurde schwer
verletzt, Ihr Robin, stimmt's? Hat ein Bein verloren oder so, im Urlaub.«
    »Nicht ein Bein. Das Leben. Ich bin die, die das Bein verloren
hat.«
    »Im selben Urlaub? Von da hätte ich keine Postkarte haben
wollen.«
    »Nein, in einem anderen Urlaub. Ich wurde von einem Hai
gebissen.«
    Michaela versuchte, nicht nach unten zu schauen. Ich
schätze, jeder versucht das, aber vergeblich. Ich meine, wo soll man sonst
hinschauen?
    »Und, was hat zum Ableben Ihres Verlobten geführt?«,
fragte sie. »Unachtsamkeit oder irgendwas Schlimmeres? Ich frage aus
beruflichem Interesse. Ich nehme an, der Leichnam wurde gefunden.«
    »Der Leichnam wurde gefunden, ganz recht. Nicht gefunden
wurde jedoch Robins Scrabble-Set, nicht wahr, Dad?«
    »Sie waren dabei?« Michaela stürzte sich blitzschnell darauf.
    Ich nickte. Was sollte ich sonst tun? »Es war ein Familienurlaub.«
    »Er war bei ihm, als es passierte«, klärte Carol sie auf.
Sie mit ihrer großen Klappe.
    »Er hat das Gleichgewicht verloren«, ergänzte ich, »stand
zu nahe am Rand.«
    »Zu nahe am Rand!« Michaela
ließ sich die Worte im Mund zergehen wie ein zartes Stück Steak, die Augen weit
aufgerissen und auf mich gerichtet. »Und Sie hätten nicht mehr ...?« Sie riss den
Arm hoch, griff in die Luft. Es war klar, was sie meinte.
    »Dafür war es zu spät. Wer fällt, fällt. Da strampelt keiner
noch ein oder zwei Sekunden in der Luft, wie im Zeichentrickfilm.«
    »Keiner?«
    Ich überging die Frage. Wie dumm von mir, es so auszudrücken.
    »Er war Mitglied bei Mensa«, sagte Carol. »Er war hierhergekommen,
um den Grabhügel oben auf dem Kliff zu erforschen, und er starb in dem Urlaub,
den wir anlässlich unserer Verlobung machten. Es war ein furchtbarer Verlust.«
    Schweigen trat ein. Gedanken flogen zwischen uns dreien
hin und her. Ich konnte sie alle hören, Michaelas, Carols, meine, alles, was in
unseren Köpfen vor sich ging. Michaela konnte nicht aufhören, mich anzustarren.
Genau wie Carol. Dann riss sie den Blick von

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