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Binding, Tim

Binding, Tim

Titel: Binding, Tim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischnapping
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die Hände ab.
    »Du blutest.«
    »Echt?« Ich befühlte meine Stirn. Sie war warm und
klebrig. Mir war leicht schwindelig. »Ich hätte den Hut aufhaben sollen.«
    Es war ein Witz, aber sie lächelte nicht.
    »Den hab ich unterm Bett gefunden. Irgendeine Ahnung, wem
er gehört?« Sie hatte Audreys Na-los-lass-hören-Gesichtsausdruck. Ich wischte
mir das Blut aus dem Auge. Etwas Dunkles überkam mich. Ich musste blinzeln, um
wieder klar sehen zu können.
    »Der muss von den letzten Mietern sein«, sagte ich. »Die
sind ziemlich überstürzt ausgezogen.« Ich packte die Rückenlehne der Liege, um
mich abzustützen.
    »Also nicht von einer deiner billigen Eroberungen.«
    »Carol, bitte! Ich bin erst zwei Tage hier. Meinst du, das
muss genäht werden?«
    »Eine Zuckerstange und einmal Autoscooter, wie Mum immer
sagte, schon hattest du eine rumgekriegt. Setz dich. Ich tupf es sauber.«
    Ich setzte mich auf die Liege, wartete, während Carol ins
Badezimmer ging. Ich konnte noch nie gut mein eigenes Blut sehen. Ein kleiner
Ritzer beim Rasieren, und schon wird mir ganz schummerig. Sie kam mit etwas
Watte und einer Tube Desinfektionscreme zurück.
    »Ich wusste gar nicht, dass ich so was im Haus hab.«
    »Hast du auch nicht. Ich bin Reisen gewohnt. Bruno und ich
fahren mit den Kindern überallhin zum Campen.«
    »Das muss schön sein.«
    »Ja. Er ist noch kein einziges Mal von einer Klippe gefallen.«
    »Carol.«
    »Schon gut. Halt still.«
    Ich hielt still. Sie fingerte an mir herum, mit behutsamen,
zarten Händen, so wie sie sicher auch mit ihren Kindern umging, meinen
Enkelkindern. Und ich konnte mich nicht mal an ihre Namen erinnern.
    »Also nicht zu viele böse Träume gehabt.«
    »Es ging.«
    »Das muss schwer für dich sein, was jetzt passiert ist.«
    »Leicht ist es jedenfalls nicht.«
    »Und seien wir ehrlich, du standest deiner Mutter näher.«
    »Ich hab's mir nicht ausgesucht, Dad. Du warst meistens
woanders. Selbst wenn du hier warst.«
    »Im Ernst? Nein, sag nichts. Das ist lange her, Carol. Ich
bin nicht mehr der Mann, der ich deiner Meinung nach war. Wie wär's, wenn ich
für uns Frühstück mache, den Tag so anfange, wie ich gern hätte, dass es mit
uns weitergeht. Ich hol schnell ein paar Brötchen bei Harry. Ich hab mich noch
gar nicht bei ihm blicken lassen. Der wundert sich bestimmt schon, wo ich
bleibe.«
    Ich war froh, aus dem Haus zu kommen, obwohl mir der Kopf
wehtat. Du liebe Zeit, wenn ich ihr anderes Bein gepackt hätte, wäre ich
ziemlich in Erklärungsnot geraten. Derlei Beinahe-Unfälle sind nicht gut. Es
sind Warnungen, dass die Dinge allmählich aus dem Ruder laufen. Fünf Minuten
später ereilte mich ein weiterer Schock. Harrys Bäckerei war nicht mehr da,
die Fenster vernagelt, an der Tür ein rostiges Vorhängeschloss. Vier Jahre, und
der Laden hatte dichtgemacht. Gab mir zu denken. War ich schuld? Weil ich nicht
mehr jeden Morgen zwei Brötchen gekauft hatte? Hatte ihn das am Ende in den
Ruin getrieben? Es war immer schön gewesen, jeden Tag da reinzugehen, zu sehen,
wie sein Glatzkopf hochfuhr, die Luft warm von dem vielen frisch Gebackenen,
das auf den Holzbrettern auskühlte. Er backte alle Sorten, alle Formen, alle
Größen, aber seine Brötchen waren ein Gedicht. Du musstest sie bloß aufbrechen,
und schon schwebte der Morgen heraus, süß und duftend, als wären all deine
Sorgen einfach weggeweht. Es war die beste Art, den Tag zu beginnen, hatte
jahrelang funktioniert. Und dann? Machte der kleine Supermarkt unten an der
Straße auf. Ich habe noch Harrys Gesicht vor Augen, eine Woche nach der Eröffnung.
Er sagte nichts, aber er wusste, es standen harte Zeiten bevor, er würde sich
zur Decke strecken müssen. Jeder wusste es. Keine Sorge, sagten wir alle. Wir
lassen dich nicht im Stich. Und jetzt war er nicht mehr da.
    Ich ging zum Geldautomaten, hob die sechzig Mäuse für die
Kettensäge ab, ging dann in den Supermarkt, kaufte vier Croissants und eine
Zeitung und kam wieder nach Hause mit zwei Packungen durchwachsenem Speck,
irgendwelchen neumodischen Rasierklingen und einem halben Kilo Biowürstchen, alles
in der Hosentasche geschmuggelt. Die konnten mich mal mit ihrem Scheißladen.
In der Küche machte ich für uns Rührei mit Speck und eine Kanne starken Kaffee.
Wir setzten uns einander gegenüber, den rosa Hut seitlich neben uns.
    »Was sind denn so deine Pläne, außer dass du deinen alten
Herrn wieder in den Knast bringen willst? Und machen wir uns nichts vor,
Liebes, das

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