Bindung und Sucht
die sichere Bindungsbeziehung zu einer »problematischen« Elternperson kann mit negativen Konsequenzen verbunden sein und bedeutet nicht notwendig einen Schutz gegenüber ungünstigen Entwicklungen. Allerdings sollten diese Ergebnisse repliziert werden, bevor weiter darüber diskutiert wird. Unsere Feststellungen, was den Zusammenhang zwischen dem Alkoholproblem der Väter und dem Bullying-Verhalten ihrer unsicher gebundenen Söhne – nicht der sicher gebundenen Söhne – angeht, stimmen mit der bestehenden Bindungstheorie überein. Sie besagen, dass Söhne alkoholabhängiger Väter mit unsicherer Mutterbindung sich in ihren Beziehungen zu Gleichaltrigen auch in den Jahren der mittleren Kindheit schwertun werden.
Entgegen den Erwartungen fanden sich keine direkten oder indirekten Zusammenhänge zwischen Alkoholproblemen der Eltern und dem Phänomen derPeer-Viktimisierung. Es gibt kaum Forschungen zu den entwicklungspsychologischen Vorläufern dieses Phänomens bei Kindern, die sich normal entwickeln, und noch spärlicher ist die Literatur bezüglich der Frage, ob und wie Kinder unter dem Einfluss früher Risikofaktoren unter Umständen eine negative Karriere in dieser Richtung einschlagen (siehe Card & Hodges 2008). Nur wenige Studien fragen speziell nach dem Risiko von Alkoholikerkindern, von Gleichaltrigen viktimisiert, also zum Opfer gemacht zu werden. Damit ist die vorliegende Längsschnittstudie die erste ihrer Art, die ersichtlich dieser Fragestellung gilt. Denkbar ist, dass andere Faktoren, die von dieser Studie nicht erfasst werden – etwa familiäre Aggression –, prädiktiv für eine Peer-Viktimisierung sind.
Fazit
Die Ergebnisse dieser Längsschnittuntersuchung besagen, dass die Sicherheit der frühen Mutterbindung ein signifikanter Moderator der weiteren Entwicklung von Alkoholikerkindern ist. Die Bindungssicherheit des kleinen Kindes gegenüber dem Vater spielte nicht die gleiche protektive Rolle wie die frühe Mutterbindung. Bindungssicherheit in Bezug auf Mütter, die selbst ein Alkoholproblem haben, erwies sich nicht als förderlich für die späteren Peerbeziehungen der Kinder. Bezogen auf die Zeit etwa zwischen dem Ende des ersten Lebensjahres und der mittleren Kindheit besagen die Resultate unserer Studie, dass Kinder, deren Eltern beide alkoholabhängig sind, ein erheblich größeres Risiko einer negativen Entwicklung haben. Wenn dagegen nur eine der Elternpersonen ein solches Problem hat, kann die sichere Bindung des Kindes an die andere – die nicht abhängige – Elternperson eine wichtige protektive Rolle spielen. Das spricht dafür, dass frühe Interventionen und die Förderung der Qualität der frühen Mutterbindung für Familien mit alkoholabhängigen Vätern von entscheidender Bedeutung sein können. Solche Familien sind häufiger als Familien, in denen beide Eltern alkoholabhängig sind. Zugunsten dieser letztgenannten Familien sind unserer Studie zufolge verstärkte Interventionsbemühungen erforderlich.
Interessant sind unsere Ergebnisse auch in Bezug auf die Wahl des Zeitpunktes von Interventionen: Alkoholikerkinder und Kinder von Nichttrinkern schlagen schon mit etwa zwei Jahren getrennte Wege ein, was aufkommende Verhaltensschwierigkeiten angeht. Interventionen mit dem Ziel, die Qualität der frühen Elternbindung zu fördern und mit Hilfe geeigneter Strategien problematische Verhaltensweisen des Kindes schon vor dem Alter von zwei Jahren aufzufangen, dürften daher eine höchst wirksame Prävention darstellen.
Anmerkung
1 W ithin-(subjects-)design bedeutet: zwei (oder mehr) experimentelle Bedingungen mit einer Probandengruppe; between-(subjects-) design : zwei (oder mehr) experimentelle Bedingungen mit zwei (oder mehr) Probandengruppen.
Literatur
Achenbach, T. M. (1992): Manual for the child behavior checklist/2 – 3 and 1992 profile . Burlington, VT (University of Vermont, Department of Psychiatry).
Ainsworth, M. D. S. & Bell, S. M. (1970): Bindung, Exploration und Trennung am Beispiel des Verhaltens einjähriger Kinder in einer »Fremden Situation«. In: K. E. Grossmann & K. Grossmann (Hrsg.) (2003), Bindung und menschliche Entwicklung. John Bowlby, Mary Ainsworth und die Grundlagen der Bindungstheorie . Stuttgart (Klett-Cotta), S. 146 – 168.
Belsky, J. (1997): Attachment, mating, and parenting: An evolutionary interpretation. Human Nature , 8, S. 361 – 381.
Bretherton, I. (1985): Attachment theory: Retrospect and prospect. Monographs of the Society for
Weitere Kostenlose Bücher